Archiv der Kategorie: 7-Island-Tour

Postlog

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Rügen

Donnerstag, 16:30 Uhr Abfahrt vom Bahnhof Seebad Ahlbeck. Über Greifswald ging es nach Stralsund und nach einem Zwischenstopp weiter Richtung Rügen. Ich wusste, dass es auf Rügen eine legendäre Schmalspurbahn gibt, den »Rasenden Roland«. Es handelt sich hier um einen Regelverkehr mit Dampflokomotiven. Man muss dazu sagen, dass ich mehrfach vorbelastet bin. Zum einen habe ich in der Welthauptstadt der Modelleisenbahnproduktion – MÄRKLIN H0 – mein Abitur gemacht, zum anderen bin ich in Uhingen groß geworden, inzwischen die Welthauptstadt der Schmalspurmodellbahnen – BEMO H0e.

Ich erreichte die letzte Insel meiner Reise gegen 19:00 Uhr, glücklich, nachdem der RE von Binz mit einer Verspätung in Züssow ankam, die dazu führte, dass ich meinen Anschlusszug nach Binz nicht mehr erreichen konnte. Da waren aber der Zugführer und der Zugbegleiter wieder sehr hilfsbereit, checkten die Anschlüsse und sagten mir dass ich mit Ihnen bis nach Stralsund fahren solle und dort in den RE von Stralsund nach Ostseebad Binz. Und wieder hat sich herausgestellt, das das Glück auf meiner Seite stand, den damit hatte ich auch einen Halt auf Bergen, der Inselhauptstadt, wo ich einen Anschlusszug nach Putbus nehmen konnte, einem Schienenbus. In Putbus Wechsel zum wahrscheinlich letzten dampflokbetriebenen Regelverkehr, einer Schmalspurbahn. Interessant hier ist, dass es am Bahnhof auch noch Gleise in Normalspur gab. Ein Traum für eisenbahnbegeisterte Menschen. Alles noch so wie früher, mit Wasserturm für die Kühlung der Loks und mit Kohlebansen, da ja der Energieträger hier tatsächlich noch Kohle ist. Und es gab nicht nur eine Dampflok im Einsatz, sondern mindestens ein halbes Dutzend. Inzwischen klare Mondnacht und ich erlebte eine wunderschöne Reise wie sie die Menschen schon vor über 100 Jahren hier erleben konnten. Die Nacht war lau und ich stand draußen auf der Pritsche und genoss die frische Inselluft. Und in Sellin-Ost angekommen waren es lediglich 50 Meter von Bahnhof zur JuHe.

Es war schon spät, die Touristen gehen hier früh schlafen, vieles war bereits geschlossen, aber ich habe noch einen anständigen Italiener gefunden, dessen Küche noch offen war. Frischer Salat und Lasagne, sowie zwei Viertel Wein – was will der Mensch mehr. Es waren hier sogar richtige Bauarbeiterportionen und ich konnte tatsächlich nicht alles aufessen. Ich ging in einen Glückszustand über, und die Visite auf Rügen versprach richtig toll zu werden. Zum einen habe ich trotz Dunkelheit viel Bäderarchitektur entdecken können, zum anderen eine richtig reizvolle Landschaft. Ich beschränkte mich gegen Mitternacht auf einen ausgedehnten Spaziergang zur Seebrücke, ein Stück des Strandes entlang und durch den Wald zurück zum Zimmer. Es war so schön, dass ich beschloss am nächsten Tag nicht nach Sassnitz zu fahren um von dort eine Dünenwanderung zu den Wittower Klinken zu machen, die Stelle, an der Caspar David Friedrich das bekannte Gemälde »Kreidefelsen auf Rügen« malte. Auch sollte ich keine Gelegenheit bekommen, die Gegenden auszusuchen, an denen sich die Maler der »Brücke« erholten und arbeiteten. Es waren ja fast alle hier, Ernst Ludwig Kirchner, Willi Jaeckel, Otto Müller, Ernst Heckel … Und auch Thomas Mann, Gerhard Hauptmann oder Albert Einstein verbrachten hier längere Zeit, wenn auch teils auf der Nachbarinsel Hiddensee. In Sellin zu bleiben, und zum Schluss noch ein Abstecher nach Binz zu machen war eine gute Entscheidung.

Nach einer erholsamen Nacht und einem ausgedehnten Frühstück mietete ich mir um die Ecke ein Fahrrad und machte mich auf die Fotosafari zum Ostseebad Baabe, und von dort aus dem Kliff entlang zurück nach Sellin. Architekturfotografie in Sellin, das voller tollen Villen ist, Bäderarchitektur vom Feinsten halt. Ich vermeinte so richtig das Gefühl der damaligen Zeit um 1900-1914 zu spüren. Es war großartig. Erfüllt von unbeschreiblich vielen tollen Eindrücken gelangte ich so langsam zum Ende meiner 7-Island-Tour.

Noch eine Fahrt mit der Dampflokomotive stand an, und wieder bin ich in so etwas reingeraten. Ich wollte unbedingt von der letzten Plattform einige Aufnahmen machen und stieg daher in den letzten Waggon. Der war farblich anders gestaltet und ich dachte mir, dass ist der Speisewagen. Also schnell rein, Gepäck im Abteil hinterlegt und dann der Versuch, durch die Menschenmasse zum hinteren Teil des Waggons zu kommen. Ja, dann stellte es sich heraus, dass ich in eine Hochzeitsgesellschaft geraten bin, die den Waggon exklusiv gemietet hatte. Auf die Frage ob ich nach hinten auf die Plattform könne antwortete der Brautvater: »Wolle mer den durchlasse?« und lachte dabei. Natürlich durfte ich das, und ich hatte hinten auf der Plattform die ganze Reise lang noch zwei interessante Gesprächspartner. Es stellte sich dabei raus, dass die Gäste aus ganz Deutschland kamen, also jeder einen anderen Dialekt sprach, und der Brautvater war offensichtlich ein rheinischer Jeck.

Und so konnte ich in guter Stimmung meine abschließende Foto- und Filmaufnahmen der Schmalspurbahn angehen. Gelegentlich schneide ich das Filmmaterial zusammen, so dass ein kleiner Trailer von 90-120 Sekunden daraus wird. Und so ging für mich leider in Binz diese lustige Fahrt zu Ende. Aber andererseits war dafür noch etwas Zeit, Binz im Schnelldurchlauf zu erkunden. An der Info kurz den Ortsplan angeschaut, mir gesagt, dass Parallelstraße zur Hauptachse meisten die Gegend ist, in der die schönsten Villen stehen, und so wars dann auch wieder. Ja, und jetzt ging ganz am Ende der Fototour die Kamera aus, also der Akku leer. Aber das wichtigste konnte ich noch aufnehmen, da ich zusätzlich sowieso parallel mit meinem iPhone 5c fotografiere.

Als ich mich der Hauptachse zur Seebrücke näherte, war ziemlich viel los, Plakate und Banner, Zelte und Präsentationsflächen für irgendwelche Autopromotionen – wo bin ich den jetzt reingeraten? Es war der Tag des »Ironman« auf Rügen, ein Riesenspektakel. War ich froh, zum ersten dass ich in Sellin residiert habe, zum zweiten dass es lediglich die Sportveranstaltung war, die Binz von seinem eigentlichen Charme entfernte. War natürlich schwierig sich die ganzen Leute wegzudenken, und auch auf den Fotos sind so viele, dass ich mir nicht mehr die Mühe machen werde, die wegzuretuschieren. So ist sicherlich auch Binz ein ganz prima Erholungsort. Ostseebad Baabe hingegen ist mir zu modern mit Zweckbauten zugepflastert, jedoch ein guter Ort für Kliniken und ReHas. Das Ostseebad Göhren habe ich leider nicht gesehen. Aber Rügen als größte deutsche Insel ist nicht in zwei Tagen zu erkunden, da kann es einem auch nach vier Wochen nicht langweilig werden, weil es so viel hier zu sehen gibt.

Eigentlich hat Rügen alles was eine Insel braucht: Eine Inselhauptstadt im Zentrum der Insel, Felder, Wiesen und Wälder, Strände und Steilküsten, Wind und Sonne, Seen en masse, vorgelagerte Inseln etc. pp.. Ein Gamedesigner könnte sich von Rügen direkt eine map machen, und ich gehe davon aus, das es diese map bestimmt schon gibt, irgendeiner war da sicher schon schneller.

Kurz vor vier Uhr Nachmittags machte ich mich dann auf dem Weg zum Hauptbahnhof Binz, die Rückreise musste ich leider antreten, weil ich am Tag darauf in München meine Studenten zu betreuen hatte. Am Bahnhof noch kurz Postkarten gekauft und geschrieben. Meine 89-jährige rüstige Mutter ist neben meiner Schwiegermutter die Einzige in der näheren Verwandtschaft, die die Umstellung in digitale Zeitalter nicht mehr vornehmen möchte – die gute, alte Postkarte erfüllt doch noch manchen Zweck.

16:07 Uhr Abfahrt. Vorbei gings nochmals an Prora vorbei, diese gigantomanische Erholungsfabrik aus der Zeit des Nationalsozialismus (vom Zug aus nur hinter den Kiefernwälder zu erahnen). Die SED hat das dann in der Zeit des real existierenden Sozialismus für diesselben Zwecke übernommen. Heute befinden sich darin Jugendherbergen und die Gebäude werden für viele Zwecke, auch künstlerische, genutzt. Vorbei gings auch am kleinen und großen Jasmunder Bodden, ein kurzer Halt in Bergen, und dann über den Strelasund nach Stralsund. Wirklich schön ist die Skyline von Stralsund, vor allem am späten Nachmittag im Gegenlicht, wo sich die Wahrzeichen der Stadt silhouettenhaft abheben. Ein würdiger visueller Abschluss meiner 7-Island-Tour.

Der Buchtipp des Tages gilt heute den Hardcorelesern unter uns: »Fouqué und einige seiner Zeitgenossen – Biographischer Versuch« von Arno Schmidt. Eine wunderbarer biografischer Versuch über das Leben von de la Motte-Fouqué im Zeitalter der deutschen Romantik. Ein Buch über 700 Seiten, von denen 130 Seiten Anmerkungen und Fußnoten sind. Ein Meisterwerk der Exaktheit, ein Füllhorn der Information über diese Zeit, und nebenbei ein tolles Sittengemälde.

 

 

 

Für die etwas geneigteren Leser eignet sich wiederum eine Novelle aus der Romantik, nämlich „Effie Briest« von Theodor Fontane, ein echter Klassiker eben.

effi-briest

Zum Abschluss der Reise stellt sich wieder die Frage, was es nun mit einer Insel auf sich hat? Meine möglichen Antworten sind folgende:

Eine Insel muss überschaubar sein, sie darf nicht zu groß sein, denn sonst stellt sich das Inselfeeling nicht ein. Eine Insel muss Erhebungen haben, damit man über die Insel schauen kann. Eine Insel muss auch bei der Anreise genügend weit vom Festland sein, auch wenn bereits ein Damm existiert; aber wenn beidseitig die Wellen anrollen, dann wirds für richtig empfunden. Eine Insel ist auch dann gegeben, wenn die Idee dazu im Kopf vorhanden ist, unabhängig vom tatsächlichen topografischen Zustand. Eine Insel kann so viel sein. Fast immer ist eine Insel ein Rückzugsort, und so werden die meisten deutschen Inseln auch genutzt, zuerst auf der Reichenau als Keimzelle der Kultur durch die Äbte und Mönche, ab dem späten 19. Jahrhundert durch jedermann, der über genügend Vermögen verfügte (Ostseebäder Binz, Sellin, Baabe und Göhren), in der Neuzeit für Hinz und Kunz (Usedom als Badewanne von Berlin), sowie für alle Menschen, die eine Rehabilitationsmaßnahme benötigen.

Jede Insel hat so ihren Reiz, und wenn ich jetzt abschließend eine Bewertung abgebe, so ist diese extrem subjektiv. Hier kurz noch einen Einschub, weil ich sonst nicht weiß, wo ichs unterbringen soll, aber ich habe auf meiner Reise nebenbei alle Städte mit mehr als einer Million Einwohner wenigstens für eine Stunde besucht, ich war an drei Meeren, nämlich an der Nordsee, an der Ostsee und am schwäbischen Meer. Außerdem habe ich bei jeder der Insel an der Hauptextremen das entsprechende Nachbarland besucht, außer bei Borkum, da hab ich lediglich nach Holland rüber gespuckt. Ferner ging die Reise durch elf Bundesländer, und bahnverkehrstechnisch ist Hamburg der wichtigste Knotenpunkt dieser Reise geworden.

Gesamt-Reiseroute

Zum letzen Mal zurück zur Insel. Mein Favorit ist nach wie vor die Reichenau, weil sie innerhalb von zwei Stunden von Stuttgart zu erreichen ist und voll von Kultur, gleichzeitig ruhig, da spätestens ab sechs Uhr Abends keine Tagestouristen da sind und man als Gast die Insel mit einer überschaubaren Anzahl von Übernachtungsgästen teilt. Und Rügen, weil es dort landschaftlich und kulturell sehr viel zu sehen gibt. Sylt ist auch schön, wird meiner Meinung nach trotzdem vollkommen überschätzt, aber bereits vor der deutschen Wiedervereinigung gab es dort einen Jetset und eine gute Vermarktung der Insel. Die ist auch nötig, denn die Konkurrenz an der Ostsee ist groß, und die Halbinseln Darß und Zingst gibts ja auch noch, und das älteste Seebad auf dem Kontinent, das Seebad Heiligendam etc. etc. pp.. Die Insel Borkum ist zwar klein, hat aber den USP, dass sie nicht über den Landweg erreicht werden kann und einen eigenen spröden Charme. Aber wer weiß, wie ich es das nächste Mal empfinden werde, insbesondere auf Usedom; da wäre etwas mehr Zeit mit einer Übernachtung angemessener gewesen.

Schön war es trotzdem überall, ereignisreich, körperlich und mental anstrengend und erholsam zugleich. Ich hatte vollkommen Glück mit dem Wetter, die Anreise auf die Reichenau, nach Sylt und nach Borkum fand jeweils bei Sturm und Regen statt. Beim Setzen meines Fußes auf diese Inseln hat der Regen aufgehört und es folgte Sonnenschein. Ich fühle mich frisch, erholt, und voller Energie; und das ist doch die Hauptsache. Und ich mache wieder so eine Reise in dieser Art, nächstes Jahr, und mit einem anderen Motto – da wird mir noch was einfallen.

Der obligatorische Inselwitz zum Schluss, diesmal von Denis Metz:

Vom Winde verwirrt

Etappe 4

Etappe 4

Usedom

Mittwoch, 16:30 Uhr Abfahrt vom Inselbahnhof Borkum mit der Inselbahn zur Reede von Borkum. Zweieinhalb Stunden Fahrt mit der Fähre nach Emden Außenhafen. Vom dortigen Bahnhof über Emden nach Hamburg. In Hamburg Zwischenstopp für eine Stunde. Erinnerung daran, dass ich in Hamburg 1989 mehrere Tage verweilte, weil ich hier die Fotos für meine AV-Show machen wollte, was zum Pflichtprogramm des 4. Semesters an der Staatlichen Akademie der Künste Stuttgart, an der ich studiert habe, gehörte. Mein Thema war das Musical Cabaret in der Bühnenfassung von Jêrome Savary, das gerade in Hamburg am Schauspielhaus gastierte. Diese Musical war damals eine Co-Produktion für das Pariser Theater Mogador und dem Düsseldorfer Schauspielhaus. Für die Rolle der Sally Bowles war Ute Lemper ausgewählt. Mein Onkel Hugo war als Schauspieler für die Rolle des Ernst Ludwig ausersehen; es ist die Rolle des kleinbürgerlichen Nazis, den in dieser überwiegend französischen Produktion selbstverständlich nur ein Deutscher spielen konnte, und er spielte seine Rolle sehr gut. Sinnigerweise ein Deutscher, dessen Vater 1945 auf der Flucht von Westpreußen Richtung Westen erschossen wurde und dessen Mutter dann unmittelbar danach von russischen Soldaten Schlimmes erfahren musste — die Kinder, 7, 5 und 3 Jahre alt durften selbstverständlich dabei zusehen.

Ich habe diese Inszenierung von Cabaret oft gesehen, in Düsseldorf, in Zürich, in Paris, in Douai, in München. Und irgendwann hatte ich die Idee auf das Eröffnungslied «Willkommen, Bienvenue, Welcome» eine AV-Show zu realisieren, in der alles was vor dem Öffnen des Vorhangs passierte gezeigt wird, also der Bühnenaufbau, die Proben, das Umkleiden, und alles was sonst so hinter der Bühne passierte, auch die kleinen menschlichen Dramen und vor allem die rauschenden Partys. Ja, das war eine tolle Truppe, das Orchester spielte nicht nur auf der Bühne, sondern auch bei den Festen Backstage. Unvergesslich für mich wie Ute Lemper nach einer Vorstellung in Douai im Restaurant nach dem Essen für die ganze Truppe gesungen hat. Phantastische Stimme und höchst professionell. Ute und ich hatten viel Spaß miteinander. Sie ist eine der besten Sängerinnen, die Deutschland vorgebracht hat. Ja, und dann ist sie einige Zeit später von der deutschen Presse andauernd mit schlechten Kritiken konfrontiert worden. Die Deutschen mögen ihre Stars nicht, jedenfalls nicht die, die wirklich Weltklasse sind. Marlene Dietrich hatte so ihre Probleme, Ute Lemper auch, Nina Hagen hat es auch zu spüren bekommen. Und im Ausland? In Frankreich? In England und in den USA, Nina Hagen auch noch in Brasilien? — in all diesen Länder waren und sind sie Stars und werden entsprechend ihrer herausragenden Leistungen vom Publikum geliebt. Und jetzt stand ich beim Zwischenstopp wieder vor dem Schauspielhaus, dass sich gleich gegenüber des Hauptbahnhof befindet.

Schauspielhaus Hamburg
Schauspielhaus Hamburg

Kurze Besinnung, Chapeau an Jêrome Savary, der vor Kurzem leider verstorben ist, und noch ein paar Gedanken an die schöne Zeit damals. Mit etwas mehr Zeit wäre ich noch ein Stück weiter gelaufen, in die Lange Reihe, wo eine Gedenktafel für Hans Albers zu finden ist, weil er hier zur Welt kam und aufwuchs. Die Zeit drängte etwas, und so habe ich mich nach Gleis 14 begeben, wo die Nachtzüge abfahren. Um 01:00 Uhr kam er endlich, der Nachtzug nach Berlin. Ich muss dazu sagen, dass ich eigentlich von Dortmund aus gebucht hatte, es aber kurzfristig vorzog, von Hamburg ab zu fahren, da mir die Sicherheit den Anschlusszug zu erreichen höher schien. Ich musste also wieder mit dem Zugbegleiter ein Gespräch führen habe mir die Story der Zugverspätung durch Baustellen — kommt immer glaubhaft an — zurechtgelegt. Nun ist es so, dass die Nachtzüge durchaus komplett belegt sind, besonders im Sommer. Der Schaffner am Bahnsteig sagte mir, ich solle es bei den zwei Waggons probieren die nach Prag fahren, das seien die einzigen, die in Hannover abgekoppelt und vor einen neuen Zug gespannt würden. Die anderen Waggons gingen nach Amsterdam. Als der Zug eintraf und ich eingestiegen war sagte mir dieser Schaffner, das das nicht so auf meinem Ticket stünde, ich solle aber zu den anderen Waggons mit Sitzen gehen und dann in Hannover umsteigen, weil da ja auch die Waggons aus Dortmund angekoppelt werden würden. Also ging ich mit Rucksack und Trolley durch mindestens 5 Waggons, der Zug stand währenddessen immer noch. Blöd dachte ich mir, von dreieinhalb Stunden Schlaf im Bett wären jetzt nur noch weniger als zweieinhalb zur Verfügung. Dort angekommen sagte mir ein anderer Schaffner, dass ich doch hätte gleich bei den zwei Waggons bleiben können, die nach Prag führen, denn dann könne ich ja in nennenswerter Länge bis Berlin schlafen. Ich sagte, dass ich eben von dort her käme. Der Schaffner telefonierte dann und managed it for me. Ich könne auch noch über den Bahnsteig zurück, denn der Zug führe erst in 8 Minuten lies der Schaffner verlauten. Also hops aus dem Zug, vorbei an den Waggons bis ans Ende des Zuges. Der dortige Schaffner, den ich bereits kannte, war verwundert und meinte doch tatsächlich, dass dies nicht auf meinem Ticket stünde, und das das normalerweise nicht ginge, aber wenn der Vorgesetzte das so sage, dann mache er es so und wies mir ein Schlafplatz zu. Und auch hier wieder: Gottseidank gibt es mehr Zugbegleiter, die vernünftiger und flexibler sind als diese Kleingeister, die wie die Pest nicht auszurotten sind.

Berlin. Bundeshauptstadt. 4:33 Uhr morgends. Vollmond am Himmel über Berlin. Schläft. Morgendämmerung, sehe die Silhouette Berlins und vermeine die Kuppel des Reichstages und ein Teil des entsetzlichen Kanzlerbunkers sehen zu können. Erinnerungen auch daran wie es war, nahe der Bernauer Straße gewohnt zu haben, nicht weit entfernt der Berliner Mauer, die längst Geschichte ist. War lustig damals, als West-Berlin noch eine Mauer drum herum hatte, ein ganz spezielles Flair, das sich grundlegend geändert hat. Tolle Zeit damals. Toll bestimmt auch noch heute für Viele, halt aber anders. Und ich heute völlig übernächtigt.

Selfie_Bahnhof_Berlin

So langsam wachte Berlin auf, Menschenmassen strömten in den Hauptbahnhof, diesen Glaspalast, den ich nicht unbedingt schön finde, aber sehr sehr praktisch. Die Wege, die Gänge, die Rolltreppen, das Leitsystem, alles wunderbar und intelligent geplant. Warum sollte das nicht auch für Stuttgart gelten? Und die Hamburger haben ebenfalls einen Bahnhof in dieser Art, also ich habe bezüglich diese Leitsystems auch für den künftigen Stuttgarter Hauptbahnhof keine Sorgen, diese Kapazitäten des Reisendenaufkommens lässt sich bewältigen, da gibt es andere Probleme, die viel mehr zu Überdenken wären. Ja, und um 6:33 Uhr war der RE nach Greifswald voll, proppenvoll, bis sich Station für Station der Zug wieder langsam leerte. Weiter gings also durch Brandenburg nach Vorpommern bis Züssow, der Umsteigestation, total tote Hose, ein Bahnhof mitten in der Pampa. Natürlich war ich nicht allein, es gab da noch ein paar, die diesselbe Richtung hatte. Ja und das Wetter entwickelte sich nach Regen in Berlin zunehmend, soll heißen: immerhin trocken. Und die Landschaft durchaus mit einem gewissen Reiz beim durchfahren!

Weiter gings nun zum Ziel meiner heutigen Reise, zu einem der drei Kaiserbäder, zum Seebad Ahlbeck direkt an der Grenze zu Polen. Kaiserbäder deshalb, weil im deutschen Kaiserreich Wilhelm II. hier immer seinen Urlaub verbrachte, bei den Seebädern Bansin, Heringsdorf und eben Ahlbeck. Ich erreichte gegen 09:35 Uhr Usedom, praktisch unmerklich wenn man nicht aufpasst, den die Peene ist nach meiner Einschätzung an dieser Stelle nicht breiter wie beispielsweise der Neckar in Heidelberg. Fahrt mit der Bahn im Hinterland. Vom Meer weit und breit nichts zu sehen und das Inselgefühl wollte sich nicht einstellen. Ich muss an dieser Stelle sagen, das ich der Meinung bin, dass eine Insel eine bestimmte Form, eine bestimmte Größe etc. haben muss, um als eine Insel wahrgenommen zu werden. Insofern ist Usedom für mich zwar faktisch durchaus eine Insel, aber emotional keine, das war bisher am stärksten auf Borkum und auf der Reichenau zu spüren, wiewohl diese beiden Insel sehr unterschiedlich in anderer Art und Weise sind. Dennoch: ich genoss die Fahrt und das Wetter wurde immer besser, ein richtiges Kaiserwetter eben. Und so erschloss sich mir auf wunderbare Weise die Herkunft dieses Ausspruchs. Wie würde das wohl sein mit einem anderen Begriff, der zu Usedom gehört, nämlich die Badewanne Berlins. Das galt es für mich heute herauszufinden.

Mein Plan war es, in Ahlbeck ein Fahrrad zu leihen, nach Swinemünde in Polen zu fahren, und wenn die Zeit noch reicht, nach Heringsdorf, um dann nach Ahlbeck wieder zurückzufahren, da ich ja im Bahnhof mein Gepäck im Schließfach verstaut hatte. Es kam aber ganz anders, aber der Reihe nach.

Ankunft in Ahlbeck. Sonniges Wetter. Info am Bahnhof für den Fahrradverleih. Nicht weit vom Bahnhof. Soweit, so gut. usedomrad.com. Verteilerstelle und Stützpunkt. Kein Ansprechpartner vor Ort. Nomineller Ansprechparter – eine Immobilienfirma – verweist mich auf die Hotline. Anruf. Buchungsversuch. Kreditkartennummer. Keine Lust. Barzahlung von mir bevorzugt. Problem. Interne Klärung bei der Hotline notwendig. Ich soll zurückgerufen werden. Zeitverlust inzwischen eine halbe Stunde. Zeitfenster Usedom bis 16:00 Uhr des Tages, da Weiterreise nach Rügen. Marsch zur Küste. Kaiserwetter. Keine Lust mehr auf Fahrrad. Rückruf erhalten mit Zugangscode für die Fahrradleihe. Ich keine Lust mehr. Strand. Kaiserwetter. Schuhe und Socken ausgezogen. Strandwanderung Richtung Heringsdorf. Einfach schön.

Nach erreichen des Seebades Heringsdorf schlenderte ich dann auf der Seebrücke entlang, setzte mich hin, säuberte meine Füße vom Sand und ließ sie in der wunderbaren Herbstsonne trocknen, und das ging gut, da das Thermometer inzwischen auf 25 Grad Celsius gestiegen war. Ich zog meine Schuhe an und spazierte nichtsahnend weiter die Seebrücke entlang in Richtung Meer und sah, dass in fünf Minuten die Fähre nach Swinemünde kommt. Wollte noch schnell ein Ticket lösen, aber, es war niemand am Schalter. Egal, ich probiers trotzdem am Schiff. Nun habe ich die Eigenschaft, möglichst mein Geld in Fünfeuroscheine bei mir zu tragen, das habe ich mir damals vor fast 30 Jahren angeeignet, als ich mal auf Tour nach Israel, also im Heiligen Land war. Da war es immer nützlich, kleine Scheine bei sich zu haben, für den Fall der Fälle. So war es nun auch auf der Seebrücke in Heringsdorf. Aber, jeder der auf der Brücke in der Warteschlange stand hatte ein Ticket, und ich war mir nicht sicher, ob das klappt. Als das Schiff kam, ging alles sehr schnell. Der Pole, der die Tickets prüfte, fragte mich nur, ob ich es klein hätte. Ich solle nur nach Backbord gehen, dass hies für mich auf die andere Seite des Schiffs. Letztlich war es eine wunderschöne sonnige Schiffsreise in den phänomenalen Naturhafen von Swinemünde. Dort angekommen lief ich lediglich der Hautachse entlang Richtung Grenze nach Ahlbeck, stieg in den Zug und fuhr zurück. Die letzte halbe Stunde fotografierte ich noch etwas Bäderarchitektur, und dann war es das. Ob mir Usedom gefallen hat? Naja, es ist die Badenwanne Berlins, es sind die unbedarfteren Touristen, die hier in hoher Zahl da waren, nicht ganz so mein Geschmack eben, etwa so wie der Trubel in Heidelberg, auf Schloss Neuschwanstein oder in Titisee im Schwarzwald. Mehr als ein paar Stunden halte ich es da nicht aus, auch wenn die Rahmenbedingungen, die Landschaft, das Klima usw. eigentlich gar nicht so schlecht sind. Aber was zuviel ist zuviel. Fairerweise muss ich auch sagen, dass ich das Seebad Bansin nicht gesehen habe, auch nicht Peenemünde, wo es ein sehr interessantes Museum gibt und vieles weitere. Aber der erste Eindruck zählt. Wenn es um die Frage geht, welche den drei Inseln, die ich besucht habe ich wieder besuchen darf und müsste, so wäre Usedom leider nicht mehr dabei. Erschwerend kommt dazu, das sich hier das Inselfeeling bei mir nie einstellen wollte. Gesehen und abgehakt, vorerst zumindestens.

Was ich mich schon in der Schule gefragt habe war, warum die heutige deutsch-polnische Grenze so verläuft? Wir haben in der Schule gelernt, dass von den Siegermächten auf der Potsdamer Konferenz vom 17. Juli bis zum 2. August 1945 im Potsdamer Schloss Cecilienhof der Flußverlauf der Oder und Neiße als künftige deutsche Ostgrenze festgelegt wurde. Was aber ist mit dem Ostteil von Usedom und Swinemünde, und was ist mit der Stadt Stettin, die ebenfalls westlich der Oder-Neiße liegt? Auf diese Fragen konnte mir noch keiner eine plausible Antwort geben. Es ist natürlich keine existentielle Frage für mich, aber warum sich das so ergeben hat wie es ist, interessiert mich einfach. Meine Vermutung ist, dass Swinemünde mit seinem beeindruckenden Naturhafen und Stettin einfach strategische und kommerzielle Vorteile bieten.

Die mitteleuropäische Geschichte nach dem 1. Weltkrieg bis zum Ende des zweiten Welltkriegs ist auch Inhalt meines heutigen Buchtipps. Der Erlkönig von Michel Tournier. Ein phantastischer Roman, der zu großen Teilen in Preußen, speziell in Ostpreußen spielt. Hervorragend übersetzt von Hellmut Waller und gegengelesen von Michel Tournier selbst, dessen Eltern Germanisten waren und der selbst in Tübingen direkt nach dem zweiten Weltkrieg ab 1946 für vier Jahre Philosophie studierte. Michel Tournier ist der Mythenzerstörer per se, und sein Roman Erlkönig ein großartiger Wurf.

DerErlkoenig

Ein weiteres geniales Buch ist der Roman Zwillingssterne, ach, eigentlich alles von ihm gut und sollte gelesen werden.

Zwillingssterne

Zum Abschluss mein Inselwitz des Tages:

Vom Winde verwirrt

 

 

Ist gar nicht so abwegig am FKK-Strand bei gleichzeitiger Informationssucht.

Das solls für heute gewesen sein. In den nächsten Tagen folgt noch ein Postlog und eine abschließende Bewertung aller von mir besuchten Inseln dieser Tour.

Etappe 3

Etappe 3

Borkum

Allein die Anreise nach Borkum ist erzählenswert. Wie gesagt, ich habe in Rømø übernachtet und von hier aus ginge auch los, früh am morgen um 6:45 Uhr musste ich meine Fähre erreichen. Das hat wunderbar geklappt, nämlich wieder bei Dunkelheit los, diesmal zum Hafen Havneby. Überfahrt nach List auf Sylt, dann den Bus nach Westerland, Gepäck aus dem Schließfach geholt und dann den IC nach Stuttgart genommen, der über Hamburg und Bremen – mein Umsteigebahnhof – fährt. Vor Bremen Baustelle, Verzögerung, so dass ich damit rechnen musste, in Emden die letzte Fähre des Tages nach Borkum zu verpassen. In meiner Not bin ich zum Schaffner hin, erklärte mein Problem und er sagte mir, dass ich den Anschluss nicht mehr bekäme, jedoch solle ich mich in Bremen am Schalter melden, die würden das Problem lösen.
Es gab drei Optionen:
1. Eine Übernachtung im Hotel in Bremen, was meinen ganzen Reiseplan durcheinander wirbeln würde
2. Mit dem Flugzeug von Emden nach Borkum
3. Taxi

Ich ging an den Informationsschalter und konnte nachweisen, dass das Zimmer in Borkum gebucht ist, was heißt, mir musste geholfen werden. Der Taxifahrer war dann innerhalb von 5 Minuten da, und dann ginge ab, 135 Kilometer nach Emden. War das cool. Wir waren sogar eine halbe Stunde früher da als es mit dem Zug gewesen wäre. Allerdings hatten wir bei der Einfahrt nach Emden großes Glück, das es nicht zu einem Unfall kam. Was war passiert? Ganz einfach, der Navi war schuld, der sagte nämlich nach der Autobahnausfahrt »Halten sie sich links und biegen sie dann links ab«, also wie ist das zu verstehen, der Taxifahrer ging auf die linke Spur – es war auch noch in einer Kurve – und dann stellten wir fest, dass uns Autos entgegenkommen. Ich sagte dem Taxifahrer er solle aufpassen und nach rechts ziehen. Wir waren beide der Ansicht, das der Navi Mißverständliches mitgeteilt hatte. Haben wir einen Dusel gehabt, das hätte dumm ausgehen können. Überraschenderweise bin ich da sehr ruhig geblieben und habe den 71-jährigen Taxifahrer versucht zu beruhigen und ihm zu verstehen gegeben, dass auch ich höchstwahrscheinlich diesen Fehler gemacht hätte, wenn ich mit dem Navi gefahren wäre. Ich verlasse mich aber in der Regel auf meinen hervorragenden Orientierungssinn, schau mir ein- oder zweimal eine gute Straßenkarte an und das reicht.

Der Taxifahrer war supernett, wir hatten uns auf der ganzen Fahrt prima unterhalten, und er erzählte mir, dass seine Rente eigentlich ausreiche, er aber so gerne reise, so 4-5 Mal im Jahr. Um das zu finanzieren fährt er halt noch Taxi, da er noch jung geblieben ist und auch sonst ganz fit war.

Am Fährhafen gings erst einmal an den Schalter um Tickets zu kaufen. Aus Zeitnot und der Verspätung hatte ich keine Zeit, Geld vom Bankautomaten abzuheben, meine Geldmenge in der Tasche war also begrenzt. Dummerweise gab es am Fährhafen keinen Automaten und der nächste war, ich habe nachgefragt, mindestens zwei Kilometer entfernt, also vier Kilometer hin und zurück, also etwa 40 Minuten, die Fähre fährt aber in 35 Minuten. Was machen? Ich hatte zufälligerweise genau den Betrag in der Tasche, die für die Überfahrt anfiel. Mein Restgeld betrug danach genau 9 Cent. Zwar konnte ich mir dadurch kein Bier auf der Fähre leisten, aber Wasser und Multivitaminsaft sowie zwei Äpfel führte ich mit. Und auf Borkum hatte ich bereits Wochen zuvor die Übernachtung zusammen mit einem Lunchpaket gebucht, was jetzt mehr als Gold wert war. Man muss dazu wissen, dass ich gegen Abend auf Borkum ankam und die JuHe am Fährhafen liegt, 6,5 Kilometer von der Stadtmitte und somit vom nächsten Geldautomaten. Leute es hat wunderbar geklappt, ich konnte mir Abends im Speisesaal Schnitzel mit Kartoffelpüree, Erbsen und Karotten in reichlichen Mengen zum Munde führen und dieser Ort wurde auch zu meiner nächsten Schreibstube, in der ich die vorangegangene Etappe zusammenstellen konnte. Ging dann gegen 24:00 Uhr ins Bett und bin dann um 6:00 Uhr wieder aufgestanden um Korrekturen zu lesen und die Bilder einzupflegen. Und um 10:00 Uhr ging der Zug – eine sehr charmante Kleinbahn – zur Inselstadt Borkum.

Die Überfahrt zur Insel dauert mit dem Katamaran etwa eine Stunde, die Fähre braucht zweieinhalb. Borkum ist bisher die inselhafteste Insel meiner Reise, ich meine damit, dass die Anreise schon teilweise übers offene Meer ging, nicht nur so im Wattenmeerbereich. Und das spürt man auf der Insel. Es ist auch die einzige Insel im Nord-Süd-West-Ost-Zusammenhang, die nicht über eine Brücke oder einem Damm zu erreichen ist. Da geht nur Schiff und Flugzeug im Normalfall.

Was ich bisher so an Informationen über Borkum bekommen habe war dergestalt, dass ich nicht allzugroße Erwartungen hegte. Die Borkumer Lokalpolitiker brüsteten sich 1936 damit, dass die Insel als erste der deutschen Insel judenfrei sei. Und dass im zweiten Weltkrieg viel durch Fliegerbomben zerstört wurde, da Borkum auch ein strategischer Stützpunkt der Wehrmacht war. Was ich dann jedoch zu sehen bekam hat mich positiv überrascht. Die Insel ist im Gegensatz zu Sylt – wenn man mal von Jetset absieht, der sich einmal im Jahr für eine Woche zeigt! – ziemlich international geprägt, sowohl von den Menschen, die auf der Insel leben oder arbeiten, als auch von Seiten der Inselbesucher. Überraschenderweise sehr viele französische Touristen und natürlich Holländer. Holland liegt gleich gegenüber, den Eemshaven liegt näher an Borkum als Emden, aber warum so viele Franzosen?

Interessant ist, dass es sehr viele Inselpendler gibt, die auf dem Festland leben und auf der Insel arbeiten. Die fahren dann jeden Tag hin und her, das macht je nachdem ob man den Katamaran benutzt oder die Fähre zwischen zwei und viereinhalb Stunden reine Schifffahrtszeit, plus An- und Abfahrten ab Wohnung oder Arbeitsplatz. Ich habe da zwei Menschen getroffen, die mir erzählten, dass sie in der Saison einen Marktstand für Gemüse und Obst auf Borkum hätten. Sie reisten beide mit denselben Zug mit mir zur Fähre, und daraus folgerte ich, dass sie wohl zu einem größeren Unternehmen gehören müssten, wegen der Logistik von Warenbeschaffung und Warentransport. Nein, sagten sie, sie seien selbständig und würden den Wareneinkauf auch selbst machen. Die Logistik ist allerdings so organisiert, dass sie in der Markhalle die Waren aussuchen und ordern und dann durchein Logistikunternehmen direkt auf den Inselmarkt geliefert werden würde, so dass die Notwendigkeit nicht gegeben sei, dass sie jeden Tag mit dem Lieferwagen zur Insel und zurück müssten. Ein sehr gutes System und ansich logisch und praktisch. Und nicht so anstrengend für die beiden, auch wenns jedesmal ein recht langer Tag sei. Aber man kann auf der Fähre im Unterdeck auf den Viererbänken wunderbar ablegen und schlafen. Und das Wichtigste sei wohl, dass einem die Arbeit Spaß mache. Ich habe denen auch etwas über meine Inseltour erzählt, und sie meinten darauf, dass ihrer Meinung nach Wangerooge eine tolle Insel sei, die ich unbedingt besuchen müsse. Es gibt ingesamt sieben bewohnte ostfriesische Inseln, von Westen her sind das Borkum, Juist, Norderney, Baltrum, Langeoog , Spiekeroog, Wangerooge. Vieleicht die nächste Idee für mich?

Am Bahnhof der Insel angekommen habe ich mein Gepäck beim Fahradverleih für kleines Geld abgeben können und konnte mich dann erleichtert auf die Inselwanderung begeben. Nun war ich völlig überrascht, dass ich mehr von der Bäderarchitektur zu sehen bekam als in Sylt, wesentlich mehr. Und das nach den verheerenden Fliegerbomben im zweiten Weltkrieg doch noch Einiges stehen blieb. Vielleicht, weil der Hafen und die militärischen Anlagen eher auf der anderen Seite der Insel waren? Dort ist übrigends auch die JuHe in der ich übernachtet hatte, die sich auf dem Gelände einer ehemaligen Kaserne befindet. Alles sehr zweckmäßig, aber ok. Und das Personal, kulturell gemischt wie man es von Großstädten her kennt, ist sehr sehr nett. Die hatten alle eine Freude an ihrer Arbeit und waren genauso zuvorkommend, wie man es ab der Viersterne-Klasse im Hotel erwarten darf.

Die Musik jedoch spielt in Borkum am Weststrand, wo sich auch die großen Hotels und die Strandpromenade befindet. Alles ist sehr großzügig angelegt. Die Einzigartigkeit an dieser Stelle ist die vorgelagerte Sandbank. Sie hat mich sehr beeindruckt. Ich weiß nicht warum, aber diese vorgelagerte Sandbank, der gut ausgebaute Dünenweg, das Watt, die Dünen, die Strandpromenade, die Architektur ergeben hier eine besondere harmonische Einheit, die man als typisch Borkum bezeichnen könnte, ein ganz spezielles Flair.

Von hier aus kann man prima spazieren gehn, wahlweise im Watt oder auf den Dünen. Ich fand da auch des Rätsels Lösung, warum so viele Franzosen hier sind. Borkum war mal französisch und zwar zwischen 1810 und 1813. Warum trotz dieser kurzen Besitzzeit zum Kaiserreich Frankreich noch heute so viele Franzosen nach Borkum pilgern ist mir schleierhaft. Die haben doch selber so schöne Inseln, die man auch vielleichter erreichen kann.

Gegen 16:30 Uhr gings für mich wieder zurück zur Reede auf Borkum, um zur letzten Pflichtinsel zu reisen, nach Usedom.

Der Buchtipp ist heute klassischer Art:
Der Schimmelreiter von Theodor Storm. Die Handlung spielt an der Nordseeküste und erzählt auf eindrückliche Weise den Kampf der Menschen gegen die Übermacht des Meeres. Großartig!

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Und wie immer zum Schluss unser heutige Inselwitz:

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Mehr unter http://inselwitz.wordpress.com/2011/01/19/hello-world/