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Rügen

Donnerstag, 16:30 Uhr Abfahrt vom Bahnhof Seebad Ahlbeck. Über Greifswald ging es nach Stralsund und nach einem Zwischenstopp weiter Richtung Rügen. Ich wusste, dass es auf Rügen eine legendäre Schmalspurbahn gibt, den »Rasenden Roland«. Es handelt sich hier um einen Regelverkehr mit Dampflokomotiven. Man muss dazu sagen, dass ich mehrfach vorbelastet bin. Zum einen habe ich in der Welthauptstadt der Modelleisenbahnproduktion – MÄRKLIN H0 – mein Abitur gemacht, zum anderen bin ich in Uhingen groß geworden, inzwischen die Welthauptstadt der Schmalspurmodellbahnen – BEMO H0e.

Ich erreichte die letzte Insel meiner Reise gegen 19:00 Uhr, glücklich, nachdem der RE von Binz mit einer Verspätung in Züssow ankam, die dazu führte, dass ich meinen Anschlusszug nach Binz nicht mehr erreichen konnte. Da waren aber der Zugführer und der Zugbegleiter wieder sehr hilfsbereit, checkten die Anschlüsse und sagten mir dass ich mit Ihnen bis nach Stralsund fahren solle und dort in den RE von Stralsund nach Ostseebad Binz. Und wieder hat sich herausgestellt, das das Glück auf meiner Seite stand, den damit hatte ich auch einen Halt auf Bergen, der Inselhauptstadt, wo ich einen Anschlusszug nach Putbus nehmen konnte, einem Schienenbus. In Putbus Wechsel zum wahrscheinlich letzten dampflokbetriebenen Regelverkehr, einer Schmalspurbahn. Interessant hier ist, dass es am Bahnhof auch noch Gleise in Normalspur gab. Ein Traum für eisenbahnbegeisterte Menschen. Alles noch so wie früher, mit Wasserturm für die Kühlung der Loks und mit Kohlebansen, da ja der Energieträger hier tatsächlich noch Kohle ist. Und es gab nicht nur eine Dampflok im Einsatz, sondern mindestens ein halbes Dutzend. Inzwischen klare Mondnacht und ich erlebte eine wunderschöne Reise wie sie die Menschen schon vor über 100 Jahren hier erleben konnten. Die Nacht war lau und ich stand draußen auf der Pritsche und genoss die frische Inselluft. Und in Sellin-Ost angekommen waren es lediglich 50 Meter von Bahnhof zur JuHe.

Es war schon spät, die Touristen gehen hier früh schlafen, vieles war bereits geschlossen, aber ich habe noch einen anständigen Italiener gefunden, dessen Küche noch offen war. Frischer Salat und Lasagne, sowie zwei Viertel Wein – was will der Mensch mehr. Es waren hier sogar richtige Bauarbeiterportionen und ich konnte tatsächlich nicht alles aufessen. Ich ging in einen Glückszustand über, und die Visite auf Rügen versprach richtig toll zu werden. Zum einen habe ich trotz Dunkelheit viel Bäderarchitektur entdecken können, zum anderen eine richtig reizvolle Landschaft. Ich beschränkte mich gegen Mitternacht auf einen ausgedehnten Spaziergang zur Seebrücke, ein Stück des Strandes entlang und durch den Wald zurück zum Zimmer. Es war so schön, dass ich beschloss am nächsten Tag nicht nach Sassnitz zu fahren um von dort eine Dünenwanderung zu den Wittower Klinken zu machen, die Stelle, an der Caspar David Friedrich das bekannte Gemälde »Kreidefelsen auf Rügen« malte. Auch sollte ich keine Gelegenheit bekommen, die Gegenden auszusuchen, an denen sich die Maler der »Brücke« erholten und arbeiteten. Es waren ja fast alle hier, Ernst Ludwig Kirchner, Willi Jaeckel, Otto Müller, Ernst Heckel … Und auch Thomas Mann, Gerhard Hauptmann oder Albert Einstein verbrachten hier längere Zeit, wenn auch teils auf der Nachbarinsel Hiddensee. In Sellin zu bleiben, und zum Schluss noch ein Abstecher nach Binz zu machen war eine gute Entscheidung.

Nach einer erholsamen Nacht und einem ausgedehnten Frühstück mietete ich mir um die Ecke ein Fahrrad und machte mich auf die Fotosafari zum Ostseebad Baabe, und von dort aus dem Kliff entlang zurück nach Sellin. Architekturfotografie in Sellin, das voller tollen Villen ist, Bäderarchitektur vom Feinsten halt. Ich vermeinte so richtig das Gefühl der damaligen Zeit um 1900-1914 zu spüren. Es war großartig. Erfüllt von unbeschreiblich vielen tollen Eindrücken gelangte ich so langsam zum Ende meiner 7-Island-Tour.

Noch eine Fahrt mit der Dampflokomotive stand an, und wieder bin ich in so etwas reingeraten. Ich wollte unbedingt von der letzten Plattform einige Aufnahmen machen und stieg daher in den letzten Waggon. Der war farblich anders gestaltet und ich dachte mir, dass ist der Speisewagen. Also schnell rein, Gepäck im Abteil hinterlegt und dann der Versuch, durch die Menschenmasse zum hinteren Teil des Waggons zu kommen. Ja, dann stellte es sich heraus, dass ich in eine Hochzeitsgesellschaft geraten bin, die den Waggon exklusiv gemietet hatte. Auf die Frage ob ich nach hinten auf die Plattform könne antwortete der Brautvater: »Wolle mer den durchlasse?« und lachte dabei. Natürlich durfte ich das, und ich hatte hinten auf der Plattform die ganze Reise lang noch zwei interessante Gesprächspartner. Es stellte sich dabei raus, dass die Gäste aus ganz Deutschland kamen, also jeder einen anderen Dialekt sprach, und der Brautvater war offensichtlich ein rheinischer Jeck.

Und so konnte ich in guter Stimmung meine abschließende Foto- und Filmaufnahmen der Schmalspurbahn angehen. Gelegentlich schneide ich das Filmmaterial zusammen, so dass ein kleiner Trailer von 90-120 Sekunden daraus wird. Und so ging für mich leider in Binz diese lustige Fahrt zu Ende. Aber andererseits war dafür noch etwas Zeit, Binz im Schnelldurchlauf zu erkunden. An der Info kurz den Ortsplan angeschaut, mir gesagt, dass Parallelstraße zur Hauptachse meisten die Gegend ist, in der die schönsten Villen stehen, und so wars dann auch wieder. Ja, und jetzt ging ganz am Ende der Fototour die Kamera aus, also der Akku leer. Aber das wichtigste konnte ich noch aufnehmen, da ich zusätzlich sowieso parallel mit meinem iPhone 5c fotografiere.

Als ich mich der Hauptachse zur Seebrücke näherte, war ziemlich viel los, Plakate und Banner, Zelte und Präsentationsflächen für irgendwelche Autopromotionen – wo bin ich den jetzt reingeraten? Es war der Tag des »Ironman« auf Rügen, ein Riesenspektakel. War ich froh, zum ersten dass ich in Sellin residiert habe, zum zweiten dass es lediglich die Sportveranstaltung war, die Binz von seinem eigentlichen Charme entfernte. War natürlich schwierig sich die ganzen Leute wegzudenken, und auch auf den Fotos sind so viele, dass ich mir nicht mehr die Mühe machen werde, die wegzuretuschieren. So ist sicherlich auch Binz ein ganz prima Erholungsort. Ostseebad Baabe hingegen ist mir zu modern mit Zweckbauten zugepflastert, jedoch ein guter Ort für Kliniken und ReHas. Das Ostseebad Göhren habe ich leider nicht gesehen. Aber Rügen als größte deutsche Insel ist nicht in zwei Tagen zu erkunden, da kann es einem auch nach vier Wochen nicht langweilig werden, weil es so viel hier zu sehen gibt.

Eigentlich hat Rügen alles was eine Insel braucht: Eine Inselhauptstadt im Zentrum der Insel, Felder, Wiesen und Wälder, Strände und Steilküsten, Wind und Sonne, Seen en masse, vorgelagerte Inseln etc. pp.. Ein Gamedesigner könnte sich von Rügen direkt eine map machen, und ich gehe davon aus, das es diese map bestimmt schon gibt, irgendeiner war da sicher schon schneller.

Kurz vor vier Uhr Nachmittags machte ich mich dann auf dem Weg zum Hauptbahnhof Binz, die Rückreise musste ich leider antreten, weil ich am Tag darauf in München meine Studenten zu betreuen hatte. Am Bahnhof noch kurz Postkarten gekauft und geschrieben. Meine 89-jährige rüstige Mutter ist neben meiner Schwiegermutter die Einzige in der näheren Verwandtschaft, die die Umstellung in digitale Zeitalter nicht mehr vornehmen möchte – die gute, alte Postkarte erfüllt doch noch manchen Zweck.

16:07 Uhr Abfahrt. Vorbei gings nochmals an Prora vorbei, diese gigantomanische Erholungsfabrik aus der Zeit des Nationalsozialismus (vom Zug aus nur hinter den Kiefernwälder zu erahnen). Die SED hat das dann in der Zeit des real existierenden Sozialismus für diesselben Zwecke übernommen. Heute befinden sich darin Jugendherbergen und die Gebäude werden für viele Zwecke, auch künstlerische, genutzt. Vorbei gings auch am kleinen und großen Jasmunder Bodden, ein kurzer Halt in Bergen, und dann über den Strelasund nach Stralsund. Wirklich schön ist die Skyline von Stralsund, vor allem am späten Nachmittag im Gegenlicht, wo sich die Wahrzeichen der Stadt silhouettenhaft abheben. Ein würdiger visueller Abschluss meiner 7-Island-Tour.

Der Buchtipp des Tages gilt heute den Hardcorelesern unter uns: »Fouqué und einige seiner Zeitgenossen – Biographischer Versuch« von Arno Schmidt. Eine wunderbarer biografischer Versuch über das Leben von de la Motte-Fouqué im Zeitalter der deutschen Romantik. Ein Buch über 700 Seiten, von denen 130 Seiten Anmerkungen und Fußnoten sind. Ein Meisterwerk der Exaktheit, ein Füllhorn der Information über diese Zeit, und nebenbei ein tolles Sittengemälde.

 

 

 

Für die etwas geneigteren Leser eignet sich wiederum eine Novelle aus der Romantik, nämlich „Effie Briest« von Theodor Fontane, ein echter Klassiker eben.

effi-briest

Zum Abschluss der Reise stellt sich wieder die Frage, was es nun mit einer Insel auf sich hat? Meine möglichen Antworten sind folgende:

Eine Insel muss überschaubar sein, sie darf nicht zu groß sein, denn sonst stellt sich das Inselfeeling nicht ein. Eine Insel muss Erhebungen haben, damit man über die Insel schauen kann. Eine Insel muss auch bei der Anreise genügend weit vom Festland sein, auch wenn bereits ein Damm existiert; aber wenn beidseitig die Wellen anrollen, dann wirds für richtig empfunden. Eine Insel ist auch dann gegeben, wenn die Idee dazu im Kopf vorhanden ist, unabhängig vom tatsächlichen topografischen Zustand. Eine Insel kann so viel sein. Fast immer ist eine Insel ein Rückzugsort, und so werden die meisten deutschen Inseln auch genutzt, zuerst auf der Reichenau als Keimzelle der Kultur durch die Äbte und Mönche, ab dem späten 19. Jahrhundert durch jedermann, der über genügend Vermögen verfügte (Ostseebäder Binz, Sellin, Baabe und Göhren), in der Neuzeit für Hinz und Kunz (Usedom als Badewanne von Berlin), sowie für alle Menschen, die eine Rehabilitationsmaßnahme benötigen.

Jede Insel hat so ihren Reiz, und wenn ich jetzt abschließend eine Bewertung abgebe, so ist diese extrem subjektiv. Hier kurz noch einen Einschub, weil ich sonst nicht weiß, wo ichs unterbringen soll, aber ich habe auf meiner Reise nebenbei alle Städte mit mehr als einer Million Einwohner wenigstens für eine Stunde besucht, ich war an drei Meeren, nämlich an der Nordsee, an der Ostsee und am schwäbischen Meer. Außerdem habe ich bei jeder der Insel an der Hauptextremen das entsprechende Nachbarland besucht, außer bei Borkum, da hab ich lediglich nach Holland rüber gespuckt. Ferner ging die Reise durch elf Bundesländer, und bahnverkehrstechnisch ist Hamburg der wichtigste Knotenpunkt dieser Reise geworden.

Gesamt-Reiseroute

Zum letzen Mal zurück zur Insel. Mein Favorit ist nach wie vor die Reichenau, weil sie innerhalb von zwei Stunden von Stuttgart zu erreichen ist und voll von Kultur, gleichzeitig ruhig, da spätestens ab sechs Uhr Abends keine Tagestouristen da sind und man als Gast die Insel mit einer überschaubaren Anzahl von Übernachtungsgästen teilt. Und Rügen, weil es dort landschaftlich und kulturell sehr viel zu sehen gibt. Sylt ist auch schön, wird meiner Meinung nach trotzdem vollkommen überschätzt, aber bereits vor der deutschen Wiedervereinigung gab es dort einen Jetset und eine gute Vermarktung der Insel. Die ist auch nötig, denn die Konkurrenz an der Ostsee ist groß, und die Halbinseln Darß und Zingst gibts ja auch noch, und das älteste Seebad auf dem Kontinent, das Seebad Heiligendam etc. etc. pp.. Die Insel Borkum ist zwar klein, hat aber den USP, dass sie nicht über den Landweg erreicht werden kann und einen eigenen spröden Charme. Aber wer weiß, wie ich es das nächste Mal empfinden werde, insbesondere auf Usedom; da wäre etwas mehr Zeit mit einer Übernachtung angemessener gewesen.

Schön war es trotzdem überall, ereignisreich, körperlich und mental anstrengend und erholsam zugleich. Ich hatte vollkommen Glück mit dem Wetter, die Anreise auf die Reichenau, nach Sylt und nach Borkum fand jeweils bei Sturm und Regen statt. Beim Setzen meines Fußes auf diese Inseln hat der Regen aufgehört und es folgte Sonnenschein. Ich fühle mich frisch, erholt, und voller Energie; und das ist doch die Hauptsache. Und ich mache wieder so eine Reise in dieser Art, nächstes Jahr, und mit einem anderen Motto – da wird mir noch was einfallen.

Der obligatorische Inselwitz zum Schluss, diesmal von Denis Metz:

Vom Winde verwirrt