Prolog

Prolog

Was bitteschön hat Ilvesheim mit einer Insel zu tun, und mit meiner Reise zur nördlichsten, westlichsten, östlichsten und südlichsten Insel in Deutschland?

Ganz einfach, ich habe mir seit frühester Jugend Geschichten von diesem Ort Ilvesheim anhören müssen. Von den Vorfahren, die hier gelebt haben und Anfang des 19. Jahrhunderts ausgewandert sind. Nicht etwa nach Amerika, sondern ins russische Reich. In den Süden nahe des Schwarzen Meeres, nach Bessarabien, einem Gebiet, das in etwa dem heutigen Moldawien entspricht. Die Siedler sollten dort das durch den Krieg verwüstete Land wieder aufbauen, nachdem das Zarenreich diesen Landstrich von den Osmanen erobert hatte. Es sollten durch die Kolonisatoren wieder landwirtschaftlich erschlossen werden. Gute Erde dort, ich habe mir das mal vor über 20 Jahren angeschaut. Heute ists wohl wieder etwas schwieriger diese Gegend zu besuchen. Der Wein dort ist zwar einfach gemacht, schmeckt aber – viel und gut und niemals Kopfschmerzen.

Ja, und die Ilvesheimer Geschichten musste ich mir immer mit anhören, weil ja dort die Kirchenbücher waren die den Nachweis erbrachten. Vorfahr Konrad Zeh, geboren 1798 – das genügte damals vorerst als Nachweis dass die Siedler rein deutscher Abstammung waren – also wegen 1940 Hitler-Stalinpakt, Interessensgebiete, Bessarabien plötzlich auf der russischen Seite, und die Bessaraber wollten alle nicht nach Kasachstan, sondern lieber heim ins Reich – ungute Geschichte, heim durfte ja nur, wer den Nazis genehm war. Na ja, zwei weitere Dinge erzählt mir das trotzdem noch:

1. Meine Vorfahren waren aus dieser Linie keine Schwaben, sondern Kurpfälzer. Und der Ahnenpass meiner Mutter gibt weiterhin preis, dass sich diese Familienlinie nicht mit den pietistischen Schwaben in Bessarabien verheiratet haben. Und so bigott die damals waren ist die Wahrscheinlichkeit auch gering, das da was „neben naus ging“, aber man kann ja nie sicher sein.

2. Meine Vorfahren sind nicht wie die Schwaben hauptsächlich aus Glaubensgründen ausgewandert, sondern wegen des Angebots von Land und der Befreiung vom Wehrdienst durch den russischen Zar Alexander III. Keiner hatte Lust, sich als Kanonenfutter in der Armee von Napoleon zur Verfügung zu stellen – de facto ging es darum, der Zwangsrekrutierung zu entgehen. Insofern kann ich in meiner Familie auf fast 200 Jahre Wehrdienstbefreiung und -verweigerung zurückblicken.

Was immerhin auch zu denken gibt: Ich glaube, das Schwabe zu sein auch irgendwie eine Idee ist, so wie Vieles. Also ich meine damit, dass man sich als Afrikaner oder Chinese oder Inder auch irgendwann als Schwabe fühlen kann wenn man möchte, und ich finde das grundsätzlich gut. Ich fühle mich aber nicht solcherart und ich wills nicht.

Zurück zu Ilvesheim, das ich am 28. Juni 2014 zum ersten Mal in meinem Leben besucht hatte. Ich war auf dem Weg von Mannheim, wo ich an diesem Tag unterrichtet habe, nach Schriesheim weil an diesem Tag der Abiball meiner Abschlussklasse des TG dort stattfinden sollte und ich dazu eingeladen war. Zeit hatte ich etwas und der Tag war schön. Also habe ich mir das auf der Karte (Bahn-App – funktioniert super!) angeschaut und beschlossen, den Weg von Mannheim-Seckenheim über Ilvesheim und Ladenburg zu nehmen.

In Seckenheim angekommen die Feststellung, dass der nächste Bus dauert. Also losmaschiert. Schöner Spaziergang, tolles Wetter, emotionale Erfahrung, weil da die ganze Familiengeschichten wieder in Erinnerung kamen.

Ilvesheim an der Neckarschleife, um mal jetzt an den Punkt zu kommen, ist gar keine richtige Insel, sondern wurde zur Insel, weil vor langer Zeit ein Kanal gebaut wurde, der den Schiffen ersparte um die Neckarschleife tuckern zu müssen. Aber was ist da schon richtig oder falsch. Ist es wichtig per definitionem? Oder ist die Insel und das Inseldasein nicht auch manchmal nur so eine Idee. Was macht die Insel zur Insel? Es gibt so schöne Wortschöpfungen damit: „Die Insel der Seeligen“, „Reif für die Insel sein“, „Eine Insel des Friedens“, und nicht zuletzt gibt es auch Sprachinseln, wie in Bessarabien, oder auf dem Balkan oder in Dagestan, Chassawjurt, wo meine andere Familienlinie gesiedelt hatte, ursprünglich kommend aus Marienburg bei Danzig, aber das ist Stoff wieder für eine weitere Geschichte, also stop hier!

Von Arno Schmidt stammt das Buch »Die Gelehrtenrepublik« und spielt auch auf einer Insel. Tolles Buch.

Die Gelehrtenrepublik

Und wo wir gerade bei Bücher sind, hier mein Buchtipp des Tages, das mich mitunter zu dieser wahnwitzigen Idee dieser Inselreise inspirierte. Poonam, meine Göttergattin hats mir zu meinem letzten Geburtstag geschenkt. Es ist das Buch „Russische Reise“ von John Steinbeck und Robert Capa. Spannend, informativ und interessant, nicht nur, weil die beiden als Amerikaner 1947 gemeinsam die Sowjetunion besuchen konnten, was ohnehin schon sensationell war, sondern weil es auch Einiges aus fotografischer Sicht aufzeigt, was heute gar nicht mehr zur Diskussion steht. Robert Capa ist genau der Fotograf, der das berühmte Foto schuf, das in der ganzen linken Szene der siebziger Jahre in der BRD in den WGs hing, die Headline lautete „WHY?“, erinnert sich jemand? Und Robert Capa war verheiratet mit Gerda Taro, eine Fotografin aus Stuttgart, nach der vor ein paar Jahren ein Platz in Stuttgart benannt wurde, der sich oberhalb vom Olgaeck an der Hohenheimer Straße befindet. Leider ist sie viel zu früh gestorben, als Fotografin in spanischen Bürgerkrieg im Jahr 1937.

Russische Reise

Um wieder anzuknüpfen, was heute in fotografischer Hinsicht nicht mehr zur Dikussion steht wären belichtete Filme, die von von Sowjets konfisziert werden, Entwicklungsfehler, nie absolut sicher sein können, ob man die richtige Zeit/Blendenkombination erwischt hat usw.. Ich überlege mir grad, ob mein iphone 5c für meine Reise nicht völlig ausreicht? Die Fotos sehen doch ganz gut aus und für die digitale Publikation reichts auch. Aber für Print ists schon ein wenig knapp.

Heute zum Schluss noch ein Musikstück, das mir beim Spazieren am „Neckarstrand“ einfallen ist, ein alter Schlager von 1925.

Hier sind die Noten zum downloaden und selber musizieren:

Ich hab mein Herz in Heidelberg verloren

Am schönsten ist immer noch die Originalversion:

Und als absoluten Schlusspunkt heute einen Inselwitz, den mir mein Freund Fred Feuerbacher nach dem Erhalt meiner Ankündigung gemailt hat.

inselwitz

Fazit des heutigen Tages:

Ilvesheim ist für mich eine richtige Insel.

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