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Etappe 2

Sylt und Rømø

Nach alldem was ich von Sylt gehört habe war es nun wirklich mal Zeit, sich selbst ein Bild davon zu machen. Ich bin ja zum ersten mal hier. Die Insel ist ziemlich medienpräsent und das liegt sicherlich auch an einer klugen Marketingstrategie. Sylt hat einiges zu bieten, wovon ich mich inzwischen selbst überzeugen konnte.

Ich mach mir auch so meine Gedanken, wann ich von dieser Insel zum ersten mal gehört habe, oder vielmehr gesehen. Da war eine Postkarte dieser Insel, – ich war wohl so um die 10 Jahre alt – soviel ich mich erinnern kann, eine Luftaufnahme von der Landseite her mit dem Hindenburgdamm. Es müssen aber noch weitere Bilder drauf gewesen sein, weil der Text »Viele Grüße aus Westerland ebenfalls aufgedruckt war. Aber an diese anderen Fotos kann ich mich nicht mehr erinnern, spielt auch jetzt keine Rolle. Jedenfalls hatte mein Bruder Lothar sie in unserem damaligen gemeinsamen Zimmer mit einem Reissnagel an die Wand geheftet. Ich glaube, dass er dort im Schullandheim war, habe ihn später aber nie danach gefragt. Der wird sich schon melden, wenns nicht stimmt oder es sich anders zugetragen haben soll.

Da fällt mir dazu ein Zitat ein, welches eigentlich ein Zitat eines Zitates ist und den Michael Köhlmeier in seinem Buch »Die Abenteuer des Joel Spazierer« seinem Protagonisten, der offen zugibt, dass er dieses Zitat selbst irgendjemanden abgekupfert habe, sagen lässt, nämlich: »Alles was Erinnerung ist, gerät unter das Regime der narrativen Transformation.« Tief Luft holen. Am besten den ganzen Satz nochmals durchlesen und nochmals tief durchatmen, den was in diesem Zitat alles steckt ist doch völlig abgefahren, und so wahr.

Zurückt zur Postkarte, es gibt in diesem Zusammenhang noch eine weitere Postkarte an die ich gut erinnern kann, nämlich die erste Panoramakarte die wir bei uns Zuhause erhalten haben – sie kam aus New York, von meinem Onkel Hugo – und ich war sofort fasziniert von all den Wolkenkratzern die da drauf waren, und natürlich auch, dass ich so einen berühmten Onkel dort hatte, jedenfalls war er das wie ich das in meinem kindlichen Empfinden mir vorstellte. Er war zu dieser Zeit dort Mannequin und wohl richtig gut im Geschäft, kein Wunder als einer der zwei ersten männlichen Fotomodellen bei der in Branchenkreisen sehr bekannten Modellagentur »Wilhelmina«, die bis zu diesem Zeitpunkt nur weibliche Modelle betreut hatte. Das zweite männliche Modell war übrigens John Travolta, ja der war um 1970 herum ja auch noch nicht so bekannt und der Durchbruch mit »Saturday Nicht Fever« war auch erst in der zweiten Hälfte der siebziger Jahre. Ich behaupte mal, dass dies so um 1977 war. Und jetzt festhalten – das Inselthema verfolgt mich geradezu – Manhattan mit all seinen Wolkenkratzer ist ja auch eine Insel. Und jetzt einen Zeitsprung in die 90-er Jahre. Poonam und ich haben in Stuttgart geheiratet und die indische Zeremonie fand in einem indischen Restaurant statt, in Untertürkheim, auf der Neckarinsel! Au Backe, das wird einem ja vor lauter Inseln ganz anders zumute. Ich könnte nun behaupten, dass dies mich verfolge. Ist aber nicht so. Dass ich jedoch soviel mit Eilanden zu tun habe ist dennoch auffällig.

Schon meine heutige Anreise nach Sylt war ein Erlebnis, Abreise war am Sonntag, 07.09.2014 um 22:19 Uhr in Stuttgart, Umstieg in den Nachtzug nach Hamburg, wo sich herausgestellt hatte, dass auf dem Ticket ein falsches Datum stand. Die Zugbegleiterin hat sich aber sofort gekümmert und mir ein freies Abteil zugewiesen, in dem ich gut geschlafen habe und kurz in Eile geriet, als der Zug gehalten hatte. Durchsagen ohne Hörgeräte – mit denen schlafe ich nicht – verstehe ich nicht. Und meine Brille hatte ich noch nicht auf, meinte aber entziffern zu können, dass am Bahnsteig das Schild mit Hamburg zu lesen sei, schnell aus dem Bett, anziehen und Brille auf und es wurde beim weiteren hinsehen daraus auf wundersame Weise Hannover. Als Typograf kenne ich das Phänomen, dass in Saccaden und nicht in einzelnen Buchstaben gelesen wird. Ich sagte mir also in diesem automatisch ablaufenden Gedankenprozess: Anfangsbuchstabe und Zeichenanzahl ergibt Hamburg, Hannover ist eigentlich auch nicht soweit davon entfernt, vom Schriftbild meine ich, meine Schlussfolgerung war durchaus begründet, aber fehlinterpretiert. Also Alarm zurück und ich konnte mich nochmals für eine Stunde hinlegen.

Zugwechsel in Hamburg und dann war die Fahrt durch Schleswig-Holstein geprägt von stürmischer und regnerischer Witterung. Ich befürchtete Schlimmes und das es mit der Wanderung über die Insel wohl nichts werden würde. Gottseidank hatte sich das Wetter auf Sylt bis zu meiner Ankunft merklich gebessert, es wurde vielmehr ein richtig sonniger und warmer Tag. Ankunft in Westerland auf Sylt war gegen 12:30 Uhr, dort habe mich am Bahnhof gleich dem Hauptgepäck entledigt und alles im Schließfach verstaut, so dass ich nur mit einem Rucksack bepackt zum nächsten Imbiss – noch im Bahnhof – gegangen bin und mir eine Bratwurst genehmigte. Die dazugehörige Kohlenhydrate kamen in Form einer halben Toastscheibe beigelegt, also etwas dürftig oder etwas zu wurstig, wie mans halt sehen möchte. Gestärkt konnte ich schnurstracks dem Strand entgegen eilen und habe meine Füße in Meerwasser gekühlt, und bin dann den Strand etwas langspaziert.

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Insgesamt wurden daraus fast 12 Kilometer, am roten Kliff entlang, auf die Uwe-Düne, mit 51 Meter höchster Punkt auf Sylt, dann nach Kampen und weiter Richtung List. Den Rest habe ich mit dem Bus bewältigt. Und ich hatte doch dann tatsächlich noch 45 Minuten Zeit, bis meine Fähre nach Rømø abfuhr. Klar, Durst, Bier oder so was in dieser Richtung. Ziel war letztlich das Piratennest, wo ich mich in einem wunderschönen roten Strandkorb setzte, farblich gleich einer amerikanischen Brausefirma, und mir ein Sylter Gedeck bestellte – Pils mit der Dreingabe eines Brombeerschnapses, der richtig richtig gut war.

List war übrigens bis 1864 dänisch und dürfte eines der letzten Gebietsgewinne sein, die nicht nach den folgenden bewaffneten Auseinandersetzungen wieder durch die Kriegsgewinner einkassiert wurden. Interessant ist auch, das sich der Norden von Sylt in privater Hand befindet, also die kommunale oder regionale Regierungen kaum über Land in dieser Gegend verfügt. Das spürt man noch heute, wenn man die Insel so durchquert wie ich, nämlich zu Fuß.

Mein kurzes Fazit zur Insel Sylt:
• Westerland ist Massentourismus
• Wennigstedt gutbürgerlich und gut gesettelt
• Kampen ist unverschämt mondän mit Quadratmeterpreisen von 30.000 Euro, hier stinkt es richtig nach Geld
• List hat einerseits einen Charme, den ich den Dänen zuschreibe, gleichzeitig wirk es aber auch ein wenig spießig und kleinbürgerlich
• am besten hats mir in Westerheide gefallen. Die Häuser liegen so schön eingebettet zwischen den Dünen und hat genau die Balance zwischen gutem Geschmack und Understatement.

Morsum, Keitum, Archsum, Rantum und Hörnum lag nicht auf meiner Route und ich kann deshalb dazu nichts sagen.

Eigentlich wollte ich noch was über die großen Sturmfluten schreiben, die die nordfriesischen Inseln heimsuchten. Mit interaktiven Karten zum Küstenverlauf, so hatte ich es mir vorgestellt. Da hat es ja seit dem Jahr 900 riesige Landverluste gegeben, ganze Inseln, auch richtig große sind dabei untergegangen, bzw. weggeschwemmt worden. Das mit diesen interaktiven Karten hat sich aber auf der Reise als zu schwierig zu bewerkstelligen herausgestellt. Ist aber eine super Idee für die Projektarbeit meiner Abiturklasse, da hab ich jetzt schon wieder ein Thema, dass auch viel geschichtliches beinhaltet und gleichzeitig anspruchsvoll ist. Die Ideen für meine Projekte kommen mir immer in solchen Situationen. Ich mag ja so was gern. Gebongt.

Schiffsreisen sind immer schön, aber man kann sie schlecht beschreiben und auch schlecht fotografieren, sondern nur selbst erleben – die Dimensionen sind einfach zu groß, zu gewaltig, das passt nicht in ein paar Zeilen oder auf ein Foto. Film und Ton eignen sich dafür besser. Die Idee mit Rømø kam eigentlich aus der Not, da auf Sylt keine JuHe mehr Platz hatte und ansonsten auf dieser Insel schon das Schnaufen Geld kostet, ähnlich wie in Paris oder in der Schweiz. Und da erinnerte ich mich an den Architekten und Fotodesigner, mit dem ich 10 Jahre zusammen die Fotos für die Kataloge von WK-Wohnen fotografierte. Toller Job damals, gut bezahlt und in der Qualität ähnlich aufwendig wie heute bei Ligne Rosé. Lutz der Fotograf und Architekt stammte aus dem Norden und sagte mir mal bei unseren Gesprächen beim Fotoshooting, das Sylt längst nicht so cool sei wie Rømø. Ja, so bin ich jetzt das erste Mal in meinem Leben nach Dänemark gekommen, aus dieser Erinnerung heraus, kurz vor Einbruch der Dunkelheit, dazu noch im Ausland, kein Netz und ich Dussel hatte keine Karte, jedoch eine Adresse und eine vage Vorstellung – ich habe mir das nämlich schon vor Wochen auf Googlemaps angeschaut. Die Erinnerung sagte mir jedenfalls, etwa ein Kilometer vom Hafen und rechts halten. Ich ging diese Straße entlang, die zu Beginn noch sehr gut mit Gehwegen und Fahradwegen ausgestattet war, dann wegfiel, dann die Straße allmählich von Asphalt in Schotter über ging. Es wurde schon dunkel, und ich konnte diese kleinen aber charmanten Chalets der Dänen ahnen, alles in einer waldartigen Umgebung. Kurz vor Stockdunkelheit hab ich tatsächlich dieses Danhostel gefunden, mitten in der Pampa, aber genau so, wie ich es mir vorgestellt habe, einen Winkelhof aus dem 18. Jahrhundert, rot gestrichen und reetgedeckt. Wow.

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Weniger Wow war dann beim einchecken zu erfahren, dass es nichts zu essen und trinken weit und breit gab und ich dafür an den Hafen müsse. Da komm ich doch grad her! Nach strammen Fußmarsch. Und überhaupt sind diese Hafengegenden kulinarisch recht seltsam (ich meine die kommerziellen Häfen und nicht die für Touris, Segelyachten und mit Besitzern von Luxusläden wie in Deauville oder Trouville etc.) . Das einzige gute Restaurant am Hafen das ich kenne – und ich kenne nicht sehr viele Häfen – war in Barcelona ein kleines Fischrestaurant. Sensationell gut schmeckt es aber in Brest am Marinehafen im Marineheim. Der Daniel Wenk wird das bestätigen können, gell.

Nahrungsmittelcheck. Ich hatte noch etwas Studentenfutter und Wasser, das muss reichen, bin doch schon 15 Kilometer heute gelaufen, mindestens. Dafür war das Zimmer schön, es hatte etwas von der Atmosphäre wie bei Carl Spitzwegs »Armer Poet«, halt so ein kleines Ding. Nach einem kleinen Nickerchen nach so einem langen Tag bin ich nochmals raus zum spazieren und sehe, dass in der Gemeinschaftsküche für Gäste noch Betrieb war. Drei – ich sag gleich ohne Umschweife – Schnepfen. Warum? Weil ich nett nachgefragt hatte, das die so schön beim kochen seien, und ob ich eventuell einen heißen Tee mittrinken könne. Der Tag war nämlich anstrengend und ich hätte mir gerne was Warmes gegönnt, wenn ich schon auf das Abendessen verzichten wollte. Was kam war ein Gemurmel, etwas Verhuschtes. Vorab habe ich schon am Parkplatz recherchiert und ein einziges Gästeauto erblickt, mit Kennzeichen aus Wunsiedel, deshalb habe ich die Damen im süddeutschen Tonfall angesprochen. Man muss dazu sagen, dass ich zu diesem Zeitpunkt bereits frisch geduscht und rasiert war, also keine so üble Erscheinung gewesen sein konnte. Aber es war halt Nacht und wir mitten im Wald, udn alleine. Kann ja verstehen, wenn da vorsichtig reagiert wurde. Ich war aber auch Gast hier, also auch berechtigt, die Küche zu nutzen und habe – jetzt kommt der Hammer – kurz zuvor als Geschenk in Deutschlands nördlichstem Supermarkt auch eine Sylter Teemischung gekauft. Die habe ich mir dann geholt und mir eine ordentliche Menge davon zubereitet, auf der Kochplatte, die noch übrig war (drei waren belegt für die Zubereitung von Nürnberger Rostbratwürste mit Sauerkraut und Kartoffel). Man muss dazu sagen, dass ich ein klassischer Kaffeetrinker bin und Tee wirklich nur anrühre, wenn ich richtig krank bin. Das was ich da aber fabriziert hatte, war der beste Tee, den ich je getrunken habe. Poonam sorry, der Tee war für dich gedacht, aber es ist noch jede Menge da für den wahrscheinlich künftig gemeinsame Genuss. Die Damen, mich immer noch ignorierend, könnte ich nach wie vor an die Wand schmeißen, richtige Zicken war das, und dabei sahen zwei davon indiskutabel aus und die dritte war auch kein Ausbund an Schönheit. Diese Unfreundlichkeit habe ich schon so oft erleben müssen, insbesondere bei Menschen aus diesem Landstrich, Franken halt; schwierig! Das das auch anders geht habe ich jedoch häufiger erleben dürfen, in Frankreich beispielsweise, in Indien sowieso, aber auch in den osteuropäischen Ländern. Ich meine vor allem die privaten Freundlichkeiten, nicht nur die geschäftlichen.

Wo wir doch schon in Dänemark sind, komme ich zu meinem heutigen Buchtipp, passend zur Situation und zum Land, in dem ich heute übernachtet habe. Dänemark hat nämlich dem Ferdinand Celine nach dem zweiten Weltkrieg Asyl gewährt und nicht ausgeliefert, weil der in Frankreich in Abwesenheit zum Tode verurteilt wurde, wegen angeblicher Kollaboration mit den Deutschen. Da waren die Franzosen in den ersten Nachkriegsjahren ziemlich eifrig um von den wirklichen Sauereien, die sonst noch in Frankreich während der Besatzungszeit durch die Deutschen passierten, abzulenken. Wenn man die Franzosen fragt, so war fast, aber wirklich fast alle in der Résistance. (Umgekehrt gab es in Deutschland aber auch verdächtig wenige, die das Regime unterstützt haben wollten – es schenkt sich keinem was). Was aber Frankreich angeht, hier ein Beispiel, das ich selber ab Mitte der siebziger Jahre von einem Zeitzeugen erzählt bekommen habe, weil ich zu dieser Zeit öfters hier auch auf dem Land die Ferien verbrachte und nicht nur in Paris. Im Hause meines Onkels südwestlich dieser Megacity wurde nach dem Krieg die zwei jungen Damen, die zuvor mit ihrem Vater im Haus wohnten im Garten von der Dorfbevölkerung kahl geschoren, nur weil sie von einem deutschen Offizier, der als Besatzer im Dorf seine Stellung hatte, öfters Bücher ausgeliehen hatten, Goethe und Schiller, vielleicht auch Lessing. Dieser Offizier war nämlich recht frankophil und Soldat der deutschen Wehrmacht, was nicht gleichbedeutend ist mit der Art des Denkens der braunen Truppe und den vielen Mitläufern, die Deutschland damals ins Verderben bugsierten. Jedenfalls gibt es die interessante Geschichte, das dieser Offizier eines Tages bei einem Routinerundgang in der Dorfkneipe Mitglieder der Résistance erwischem wie sie im hinteren Teil des Gebäudes Flugblätter druckten. Der Offizier sagte was in der Art, dass Sie doch wissen müssten, das dies mit dem Tod bestraft werden könnte, wenn er es melden würde, was er auch unter normalen Umständen müsste. Das Ergebnis war, dass dieser deutsche Offizier dann sogar teilweise mitgeholfen hat, die Flugblätter zu kurieren, er hatte ja ein Fahrzeug. Dies habe ich noch selbst aus dem Mund von Serge gehört, der dabei war, und er war zudem der einzige Kommunist im Ort. Einige im Dorf wussten über diese Allianz Bescheid, aber nach dem Krieg war alles vergessen, wollten alles vergessen sein, den wie überall im Leben gibt es Menschen die aus solchen Situationen auch ihre Vorteile zogen, und die Deutschen waren erst einmal für längere Zeit unten durch. Und auch hier passt das Zitat aus „Die Abenteuer des Joel Spazierer« wieder so gut, das es einem den Atem verschlagen muss: »Alles was Erinnerung ist, gerät unter das Regime der narrativen Transformation.« Zu finden auf Seite 66 im letzten Absatz.

Die Geschichte hat auch ein Ende und einen persönlichen Bezug zu mir, weil ich in diesem Haus doch so oft meine Ferien verbracht habe. Die Mädchen haben nach dieser Kahlrasur das Dorf verlassen und sind nie wieder zurückgekehrt, der Vater lebte noch etwa ein Dutzend Jahre im Haus, ohne weiteren Kontakt zur Bevölkerung, und als mein Onkel das Haus Ende der 60er Jahre kaufte, war das ganze Inventar noch genau am selben Platz, und es blieb dort auch weitestgehend, all dieses Küchengeschirr und vor allem die Familienbilder, die an der Wand hingen. Ich mag dieses Haus sehr. Aberglauben und schlechtes Gewissen der Dorfbevölkerung hat dazu geführt, dass man sich diesem Haus nicht mehr genähert hatte. Um jetzt endlich wieder zurückzukommen zum Buch: Louis Ferdinand Celine hat in Dänemark das Buch »Norden« geschrieben. Besser und wichtiger aber für die Literatur sind zwei andere Bücher, zum einen »Tod auf Kredit«, sein Meisterwerk.

Tod auf Kredit

Das zweite Buch heißt »Von einem Schloss zum andern«. Leider kann ich das nicht so gut in französische lesen, da er viel in Argot geschrieben hat, was das Verständnis und die Übersetzung schwierig macht. Die deutsche Übersetzung ist jedoch immerhin so, dass von der Intention des Autors noch genügend rüberkommt.

Von einem Schloss zum andern

 

Zu guter letzt noch der überfällige Inselwitz.

Diesmal von Günther Hauschild. Ich nenne es mal
»Kampen nach der großen Mandränke 2015«

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Interlog

Interlog

Die Reichenau

Sie ist die Wiege der deutschen Kultur, und die karolingische Minuskel wurde hier maßgeblich mitentwickelt, eine Schrift in Kleinbuchstaben, die eine höhere Schreibgeschwindigkeit zulies und von daher geeignet war die Gesetze und Erlasse Karls des Großen, der an Weihnachten 800 in Rom zum Kaiser gekrönt wurde und sich damit legitimierte, das neugegründete Reich als Nachfolger des Römischen Reiches zu vertreten, als Franke über einen Vielvölkerstaat. Die Bezeichnung „Heilige Römisches Reich deutscher Nation“ entstand hingegen frühestens während der Regierungszeit der Ottonen – das war immerhin bis zu 200 Jahre später.

Nach der Auffassung der Reichenauer Lokalhistorie soll auch auf der Reichenau die Musikfixierung maßgeblich durch Hermann der Lahme vorangebracht worden sein, aber da gibt es unterschiedliche Auffassungen. Andere Quellen und Forschungen sollen ergeben haben, dass die Anfänge der nachrömischen Fixierung von Musik um 750 n. Chr. in Spanien ihren Ursprung habe. Nachrömisch deshalb, weil es in der Antike schon Methoden dafür gab, die in Vergessenheit geraten sind.

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Unstrittig ist jedoch, dass von dieser kleinen Insel im Bodensee und durch das Kloster St. Gallen wichtige Impulse in vielerlei Hinsicht in karolingischer und ottonischer Zeit stattfanden. Interessant sind auch die architektonischen Zeichnungen, die detailliert zeigen, wie ein ideales Kloster geplant und gebaut werden könnte. Es handelt sich um den St. Gallener Klosterplan, der vermutlich zwischen 819 und 826 auf der Reichenau erstellt wurde.

Idealisten versuchen heutzutage, diesen Idealplan eines Klosters in der Nähe von Messkirch unter dem Projektnamen Campus Galli umzusetzen.

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Detailliertere Infos unter http://de.wikipedia.org/wiki/St._Galler_Klosterplan

Dieses UNESCO Weltkulturerbe ist für den oberflächlichen Betrachter nicht sichtbar spektakulär, aber Qualität liegt ja oft im Verborgenen. Zu erwähnen sind unbedingt die ältesten erhaltenen Fresken nördlich der Alpen in der Basilika St. Georg in Oberzell, die von allen Sakralbauten auf der Reichenau am ursprünglichsten wirkt und im Inneren eine meditative Eleganz ausstrahlt – mir ist sie auch die liebste.

Ansonsten wunderschöne Insel zum Erholen. Tagestouristen sind abends weg. Nicht geeignet für Feierlustige zwischen 18 und 30 Jahre. Allerdings dadurch auch viele Menschen jenseits ihrer Berufstätigkeit, manchmal – jedoch nicht oft – grimmig. Macht mir aber gar nichts, denn die Felchen, von Poonam zubereitet, sind so was von lecker.

Sensationelles Gemüse vor Ort und wunderbar zum Fahrradfahren. Abends die Seele baumeln lassen und Sonnenuntergang genießen am Strandcafé »Sandseele«.

Und das zweieinhalb Stunden mit der Bahn von Stuttgart. Grund genug, mit Poonam und Ravi wieder hierher zu kommen.

Zum Schluss noch ein Buchtipp von Michael Köhlmeier, der in Hard am Bodensee geboren wurde. Er ist der beste deutschsprachige Autor, der mir die letzten Jahre untergekommen ist. Ich rede vom Buch »Abendland«, in dem die Hauptprotagonisten ein Mathematikprofessor, ein mehr oder weniger gescheiteter Jazzgitarrist und dessen Sohn Sebastian Lukasser sind. Ein völlig abgefahrenes Buch. Unbedingt lesen.

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Als Reiselektüre habe ich seinen letzten Roman »Die Abenteuer des Joel Spazierer« dabei. Es verspricht ein ebenso großartiger Lesegenuss zu werden.

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Inselwitz gibt es heute keinen, dafür aber das nächste Mal, wenns in den hohen Norden geht.

Etappe 1

Etappe 1

Eine Reise hat ja nicht nur ein Ziel, sondern auch einen Weg dorthin.

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Ich kanns nicht lassen. Hier ein allerdings schon etwas älteres Bild von Deutschlands berühmtesten Kleinbahnhof, den ich auf meinen Reisen zum Studienstandort Friedrichshafen am Bodensee öfters passiere.

Ja, der Bodensee, das Schwäbische Meer. Ist nicht nur eine Floskel, das war mal wirklich so, ist aber schon ein Weilchen her. Ein sehr langes Weilchen, um genau zu sein über 1100 Jahre. Da liegt der See tatsächlich recht zentral und nicht so gedrängt an den Landesgrenzen wie heutzutage.

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Wie ihr jetzt schon sicherlich richtig vermutet, heißt die südlichste bewohnte Insel in Deutschland „Lindau“ im Bodensee.

Und mit Lindau hat es wiederum eine persönliche Bewandnis:
Es gab mal eine Zeit in der ich Berufmusiker war und deshalb auch Musik studieren wollte. Jahrelanges Üben und monatelange Vorbereitungen auf die Aufnahmeprüfungen. Bestanden habe ich 1983 an allen Musikhochschulen, in Mannheim, in Freiburg, in Stuttgart, allerdings gibt es an diesen Hochschulen immer nur eine sehr begrenzte Anzahl von freien Studienplätzen und ich stand somit auf der Warteliste, die ich bis zu 4 Semester für das Vorrücken in der Liste hätte in Anspruch nehmen können. Aber mein Leben hat sich bekanntermaßen etwas anders entwickelt. Jedenfalls war ich damals in Freiburg und hatte nach der Prüfung mal wieder Zeit und bin kurz entschlossen durch den Schwarzwald Richtung Bodensee gefahren. Die Schwarzwaldstrecke war noch nicht so gut ausgebaut, es brauchte seine Zeit und es wurde sehr spät, so dass ich zwischen Überlingen und Meersburg an einem Parkplatz im Auto übernachtet habe.

Am nächsten Morgen, sehr früh, gings weiter nach Lindau. Hier habe ich mich ins beste Hotel am Platz, dem „Bayrischen Hof“ direkt am Hafen begeben, immer noch sehr früh und es war noch kaum ein Mensch da, das Frühstück hingegen war vorzüglich und das Wetter – es war im Juni – super.

Nur der Kellner war am Schluss etwas arg langsam. Auch nach mehrmaligem Rufen ist der nicht erschienen. Ich warte, und warte und warte… – nach etwa einer Stunde war mirs dann zu dumm und bin gegangen. Ich bin mir nicht mehr sicher, ob ich dabei das Zahlen vergessen habe. Ich schäme mich jetzt mal trotzdem. Habs aber heute versucht wieder gut zu machen und der Kellnerin ein fürstliches Trinkgeld gegeben.

Um mal jetzt wieder zurück zum Inselthema zu kommen, hier ein paar Impressionen:

 

 

Während die nördlichste, westlichste und östlichste Deutsche Insel gleichzeitig auch bewohnt sind, verhält es sich mit der südlichsten etwas anders. Die südlichsten Inseln in Deutschland liegen im Eibsee, nahe Garmisch, alle unbewohnt und mit einer Gesamtgröße von gerade mal einem guten Hektar.

Und das mit den drei Inseln im Bodensee ist auch bodenlos. Aber so haben wir es in der Schule gelernt. Didaktische Reduktion nennt sich das. So lernt man es auch am Staatlichen Seminar für Fachdidaktik und Lehrerfortbildung. Dieser Kunstgriff ist durchaus sinnvoll in Mathe und in den Naturwissenschaften usw. , aber doch nur bedingt in der Kulturwissenschaft und der Sozialwissenschaft, besonders am Gymnasium im Profilfach wenn es auf die Oberstufe zu geht.

Und da muss wieder mal ein Erlebnis herhalten, da sich kürzlich zugetragen hat:
Mein Sohn Ravi, 9. Klasse Gymnasium mit Kunstprofil bei der Kunstgeschichteklausur sollte die Frage beantworten, welche zwei künstlerische Reformbewegungen es Ende des 19. Jahrunderts / Anfang des 20. Jahrhunderts gab. Er nannte den Jugendstil und dies wurde ihm als Fehler angestrichen mit dem (roten) Vermerk, dass dies keine Reformbewegung sei. Wie bitte? Der Jugendstil, der maßgeblich auch von der Arts & Crafts-Bewegung beeinflusst wurde, von der antroposophischen Bewegung mit Rudolf Steiner usw. soll keine Reformbewegung sein? Die ganze Jugendstilarchitektten und Produktgestalter, insbesondere die Wiener Secession die als Bewegung angetreten ist den Historismus des 19. Jahrhunderts zu überwinden und neue Formen im Einklang mit den Bedürfnissen der Menschen zu suchen und zu kreieren?

Im Gegensatz dazu wurde von der Kunstlehrerin erwartet den Deutschen Werkbund zu nennen. Meiner Ansicht nach ist der Deutsche Werkbund vor allem deshalb gegründet worden um neue Produkte besser vermarkten zu können. Ich spreche ja dem DWB nicht reformerisches ab, aber der Reformgedanke ist hier mehr wirtschaftlicher Natur, während der Jugendstil auch die geistige Erneuerung im Sinn hatte.

Darauf angesprochen erwiderte die Kunstlehrerin mir: „So steht es im Schroedel (ein Schulbuchverlag) und ich halte mich daran.“ O Gott, und so jemand hat einen Universitätsabschluss. Ich habe den Eindruck, dass viele Lehrkräfte die Methodik des wissenschaftlichen Arbeitens nie wirklich verstanden haben. Wenn dem so wäre, würde man immer mehrere Quellen heranziehen, vergleichen und sich eine eigene Meinung bilden. Man würde dan akzeptieren müssen, dass es oft mehrere Sichtweisen gibt, die gleichzeitig richtig sind – der Standpunkt ist letzlich ausschlaggebend und die Begründung dazu. Mein Eindruck ist, dass oft Unsicherheit im Spiel ist, wenn es ums Bewerten geht, da beruft man sich halt aufs eingeführte Buch im jeweiligen Fach. Mit dieser Logik rechtfertigen auch alle religiösen Fanatiker ihr Tun. Man sieht ja überall die Folgen: in Syrien, im Irak, im Gaza-Streifen, auf der Krim, in der Ukraine etc..

Ich finde die Schüler und Studierende haben immer das Recht, eigene Lösungen und Schlussfolgerungen zu finden. Im Bereich der Typografie z.B. kann man niemals sagen, dass man bei Beachtung von einer handvoll Regeln in jedem Fall immer zu einem guten Ergebnis kommt. Da spielt schon die Erfahrung und die künstlerische Empfindungsfähigkeit eine sehr große Rolle. Die sucht man bei Lehrkräften in Funktionsstellen an den staatlichen Schulen wie eine Stecknadel im Heuhaufen. Im Übrigen durchaus ein Kernpunkt, der mich immer wieder in Konflikt mit dem staatlichen Schulsystem brachte – damals wie heute.

Und da muss ich mal ein großes Lob ausprechen für einen Lehrer, den Dr. Günther Müller, den wir ein paar Jahre auch als Klassenlehrer am Raichberg-Gymnasium in Ebersbach /Fils hatten. Best Teacher ever!

Wir hatten ihn in Geschichte und Deutsch, er hat aber auch an der Kunstakademie in Stuttgart studiert und dadurch das, was meiner Meinung einen guten Lehrer im gesellschaftswissenschaftlichen Bereich ausmacht: Kompetenz gepaart mit einem extrem guten Allgemeinwissen und der Fähigkeit den Schülern assoziatives Denken zu vermitteln. Im Geschichtsunterricht war sein Bestreben, nicht nur die Fakten zu vermitteln, sondern uns auch das Denken der Menschen in der damaligen Zeit nahezubringen und warum sie dieses und jenes gemacht haben. Ganz toll bei ihm die Begleitumstände zu erfahren, wie es zur französischen Revolution kam, und warum wir noch heute von dieser Revolution partizipieren obwohl danach die Jakobiner diese Ideen pervertierten. Meine Ex-Klassenkameraden werden sich hoffentlich noch daran erinnern.

Und seine größte Eigenschaft: Unterricht komplett in freier Rede. Er hat uns mal erzählt, dass ein Prüfer bei seiner Lehrprobe gesagt habe: „Alles schön Herr Müller, Planung, Unterrichtsverlauf und Unterrichtskonzept alles gut strukturiert, aber lassen sie einfach jetzt alles liegen unterrichten sie frei.“ Das was dann kam hatte dem Prüfer wohl gefallen und Müller hats wohl gut und dannach offensichtlich zu seinem Standard gemacht. Leider musste er nach etwa vier Jahren unsere Schule wieder verlassen, das war die übliche Vorgehensweise, wenn man, wie bis in die 80-er Jahre hinein üblich, einen Kollegen disziplinieren wollte, der als ein 175-er galt. Ich will mir gar nicht vorstelle, wie der immer vom Kollegium gemobbt wurde, nicht offen, nein, Got bewahre, nur hinter vorgehaltener Hand selbstverständlich. Gottseidank haben sich die Zeiten etwas geändert.

Ich meine ein Typ der uns bei unserer Exkursion ins Elsass nach Notre-Dame-du-Haut de Ronchamp führte, uns den Hartmannsweiler Kopf zeigte und uns parallel das Buch „Im Westen nichts Neues“ zu lesen gab, und andererseits uns schon Mitte der 70-er Jahre vom Gilgamesch-Epos, dem ältesten bekannten überhaupt, berichtete, uns erzählte, und dass man in Mohenjo Daro schon vor über 4500 Jahren standardmäßig Bäder und Toiletten in die Wohnungen eingebaut hat, also bitte, ist das nicht großartig? Ich saß also öfters mal da und dachte mir, wow, der Typ hats drauf.

Solltet ihr mal wieder die Gelegenheit haben das Mercedes-Benz-Museum in Stuttgart zu besuchen, haltet Ausschau nach einem schwarzen Mercedes 300, Sondermodell ca. 1956, achtfach lackiert mit einem Armaturenbrett aus Wurzelholz, das war höchstwahrscheinlich seiner. Eine nächtliche und feuchtfröhliche Party hat ihn dazu verholfen. Wetteinsatz war eine Kiste Kessler Hochgewächs, Herausforderung war, ob er dieses Auto aus dem Schuppen im Garten des Nachbars, welches seit einigen Jahren ungenutzt rumstand, kaufen würde. Er hats getan und ihn bekommen, für 800 Mark. Später hat sich rausgestellt, dass es von diesem Sondermodell mit einer Auflage von etwa 150 Stück nur noch zwei fahrbereite gab. Und von da an brauchte er sich um die Funktionsfähigkeit seines Fahrzeugs nicht mehr zu kümmern, das hat dann Mercedes-Benz übernommen.

Die Spur habe ich schon im vorvorangegangenen Absatz gelegt, hier zwischendurch mein Buchtipp heute, passend zu hundert Jahre 1. Weltkrieg, Erstausgabe von 1929:

Im Westen nichts Neues

 

Zurück zum Thema, die längst überfällige Inselliste des Tages:

Deutsche Bodenseeinseln
Obersee

  • Vogelinsel bei Lindau an der Mündung der Leiblach
  • Hoy bei Lindau
  • Lindau
  • Mainau
  • Dominikanerinsel in Konstanz
  • 2 Vogelinseln / ehm. Dorniermole bei Immenstaad

Untersee

  • Triboldingerbohl
  • Mittler bzw. Langhohl
  • Reichenau
  • Liebesinsel

Bodenseeinseln in der Schweiz im Untersee

  • Insel Werd
  • Mittleres Werdli
  • Unteres Werdli

Also ingesamt 14 Inseln, wovon 5 bewohnt sind.

Österreich hat mal wieder nichts in dieser Hinsicht am Bodensee zu bieten, allenfalls ein paar Sandbänke.

 

Schlusspunkt heute einen Inselwitz von Perscheid. Die Älteren von uns werden sich daran erinnern.

Insel-Witz_Etappe_1

 

Fazit des heutigen Tages:

Deutschlands südlichste bewohnte Insel – klein und städtisch!

Die Reichenau ist viel schöner und entspannender, weshalb ich die nächsten Tage auch dort verbringen werde. Danke dafür auch an Cassis.

 

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