Alle Beiträge von gw

Etappe 4

Etappe 4

Usedom

Mittwoch, 16:30 Uhr Abfahrt vom Inselbahnhof Borkum mit der Inselbahn zur Reede von Borkum. Zweieinhalb Stunden Fahrt mit der Fähre nach Emden Außenhafen. Vom dortigen Bahnhof über Emden nach Hamburg. In Hamburg Zwischenstopp für eine Stunde. Erinnerung daran, dass ich in Hamburg 1989 mehrere Tage verweilte, weil ich hier die Fotos für meine AV-Show machen wollte, was zum Pflichtprogramm des 4. Semesters an der Staatlichen Akademie der Künste Stuttgart, an der ich studiert habe, gehörte. Mein Thema war das Musical Cabaret in der Bühnenfassung von Jêrome Savary, das gerade in Hamburg am Schauspielhaus gastierte. Diese Musical war damals eine Co-Produktion für das Pariser Theater Mogador und dem Düsseldorfer Schauspielhaus. Für die Rolle der Sally Bowles war Ute Lemper ausgewählt. Mein Onkel Hugo war als Schauspieler für die Rolle des Ernst Ludwig ausersehen; es ist die Rolle des kleinbürgerlichen Nazis, den in dieser überwiegend französischen Produktion selbstverständlich nur ein Deutscher spielen konnte, und er spielte seine Rolle sehr gut. Sinnigerweise ein Deutscher, dessen Vater 1945 auf der Flucht von Westpreußen Richtung Westen erschossen wurde und dessen Mutter dann unmittelbar danach von russischen Soldaten Schlimmes erfahren musste — die Kinder, 7, 5 und 3 Jahre alt durften selbstverständlich dabei zusehen.

Ich habe diese Inszenierung von Cabaret oft gesehen, in Düsseldorf, in Zürich, in Paris, in Douai, in München. Und irgendwann hatte ich die Idee auf das Eröffnungslied «Willkommen, Bienvenue, Welcome» eine AV-Show zu realisieren, in der alles was vor dem Öffnen des Vorhangs passierte gezeigt wird, also der Bühnenaufbau, die Proben, das Umkleiden, und alles was sonst so hinter der Bühne passierte, auch die kleinen menschlichen Dramen und vor allem die rauschenden Partys. Ja, das war eine tolle Truppe, das Orchester spielte nicht nur auf der Bühne, sondern auch bei den Festen Backstage. Unvergesslich für mich wie Ute Lemper nach einer Vorstellung in Douai im Restaurant nach dem Essen für die ganze Truppe gesungen hat. Phantastische Stimme und höchst professionell. Ute und ich hatten viel Spaß miteinander. Sie ist eine der besten Sängerinnen, die Deutschland vorgebracht hat. Ja, und dann ist sie einige Zeit später von der deutschen Presse andauernd mit schlechten Kritiken konfrontiert worden. Die Deutschen mögen ihre Stars nicht, jedenfalls nicht die, die wirklich Weltklasse sind. Marlene Dietrich hatte so ihre Probleme, Ute Lemper auch, Nina Hagen hat es auch zu spüren bekommen. Und im Ausland? In Frankreich? In England und in den USA, Nina Hagen auch noch in Brasilien? — in all diesen Länder waren und sind sie Stars und werden entsprechend ihrer herausragenden Leistungen vom Publikum geliebt. Und jetzt stand ich beim Zwischenstopp wieder vor dem Schauspielhaus, dass sich gleich gegenüber des Hauptbahnhof befindet.

Schauspielhaus Hamburg
Schauspielhaus Hamburg

Kurze Besinnung, Chapeau an Jêrome Savary, der vor Kurzem leider verstorben ist, und noch ein paar Gedanken an die schöne Zeit damals. Mit etwas mehr Zeit wäre ich noch ein Stück weiter gelaufen, in die Lange Reihe, wo eine Gedenktafel für Hans Albers zu finden ist, weil er hier zur Welt kam und aufwuchs. Die Zeit drängte etwas, und so habe ich mich nach Gleis 14 begeben, wo die Nachtzüge abfahren. Um 01:00 Uhr kam er endlich, der Nachtzug nach Berlin. Ich muss dazu sagen, dass ich eigentlich von Dortmund aus gebucht hatte, es aber kurzfristig vorzog, von Hamburg ab zu fahren, da mir die Sicherheit den Anschlusszug zu erreichen höher schien. Ich musste also wieder mit dem Zugbegleiter ein Gespräch führen habe mir die Story der Zugverspätung durch Baustellen — kommt immer glaubhaft an — zurechtgelegt. Nun ist es so, dass die Nachtzüge durchaus komplett belegt sind, besonders im Sommer. Der Schaffner am Bahnsteig sagte mir, ich solle es bei den zwei Waggons probieren die nach Prag fahren, das seien die einzigen, die in Hannover abgekoppelt und vor einen neuen Zug gespannt würden. Die anderen Waggons gingen nach Amsterdam. Als der Zug eintraf und ich eingestiegen war sagte mir dieser Schaffner, das das nicht so auf meinem Ticket stünde, ich solle aber zu den anderen Waggons mit Sitzen gehen und dann in Hannover umsteigen, weil da ja auch die Waggons aus Dortmund angekoppelt werden würden. Also ging ich mit Rucksack und Trolley durch mindestens 5 Waggons, der Zug stand währenddessen immer noch. Blöd dachte ich mir, von dreieinhalb Stunden Schlaf im Bett wären jetzt nur noch weniger als zweieinhalb zur Verfügung. Dort angekommen sagte mir ein anderer Schaffner, dass ich doch hätte gleich bei den zwei Waggons bleiben können, die nach Prag führen, denn dann könne ich ja in nennenswerter Länge bis Berlin schlafen. Ich sagte, dass ich eben von dort her käme. Der Schaffner telefonierte dann und managed it for me. Ich könne auch noch über den Bahnsteig zurück, denn der Zug führe erst in 8 Minuten lies der Schaffner verlauten. Also hops aus dem Zug, vorbei an den Waggons bis ans Ende des Zuges. Der dortige Schaffner, den ich bereits kannte, war verwundert und meinte doch tatsächlich, dass dies nicht auf meinem Ticket stünde, und das das normalerweise nicht ginge, aber wenn der Vorgesetzte das so sage, dann mache er es so und wies mir ein Schlafplatz zu. Und auch hier wieder: Gottseidank gibt es mehr Zugbegleiter, die vernünftiger und flexibler sind als diese Kleingeister, die wie die Pest nicht auszurotten sind.

Berlin. Bundeshauptstadt. 4:33 Uhr morgends. Vollmond am Himmel über Berlin. Schläft. Morgendämmerung, sehe die Silhouette Berlins und vermeine die Kuppel des Reichstages und ein Teil des entsetzlichen Kanzlerbunkers sehen zu können. Erinnerungen auch daran wie es war, nahe der Bernauer Straße gewohnt zu haben, nicht weit entfernt der Berliner Mauer, die längst Geschichte ist. War lustig damals, als West-Berlin noch eine Mauer drum herum hatte, ein ganz spezielles Flair, das sich grundlegend geändert hat. Tolle Zeit damals. Toll bestimmt auch noch heute für Viele, halt aber anders. Und ich heute völlig übernächtigt.

Selfie_Bahnhof_Berlin

So langsam wachte Berlin auf, Menschenmassen strömten in den Hauptbahnhof, diesen Glaspalast, den ich nicht unbedingt schön finde, aber sehr sehr praktisch. Die Wege, die Gänge, die Rolltreppen, das Leitsystem, alles wunderbar und intelligent geplant. Warum sollte das nicht auch für Stuttgart gelten? Und die Hamburger haben ebenfalls einen Bahnhof in dieser Art, also ich habe bezüglich diese Leitsystems auch für den künftigen Stuttgarter Hauptbahnhof keine Sorgen, diese Kapazitäten des Reisendenaufkommens lässt sich bewältigen, da gibt es andere Probleme, die viel mehr zu Überdenken wären. Ja, und um 6:33 Uhr war der RE nach Greifswald voll, proppenvoll, bis sich Station für Station der Zug wieder langsam leerte. Weiter gings also durch Brandenburg nach Vorpommern bis Züssow, der Umsteigestation, total tote Hose, ein Bahnhof mitten in der Pampa. Natürlich war ich nicht allein, es gab da noch ein paar, die diesselbe Richtung hatte. Ja und das Wetter entwickelte sich nach Regen in Berlin zunehmend, soll heißen: immerhin trocken. Und die Landschaft durchaus mit einem gewissen Reiz beim durchfahren!

Weiter gings nun zum Ziel meiner heutigen Reise, zu einem der drei Kaiserbäder, zum Seebad Ahlbeck direkt an der Grenze zu Polen. Kaiserbäder deshalb, weil im deutschen Kaiserreich Wilhelm II. hier immer seinen Urlaub verbrachte, bei den Seebädern Bansin, Heringsdorf und eben Ahlbeck. Ich erreichte gegen 09:35 Uhr Usedom, praktisch unmerklich wenn man nicht aufpasst, den die Peene ist nach meiner Einschätzung an dieser Stelle nicht breiter wie beispielsweise der Neckar in Heidelberg. Fahrt mit der Bahn im Hinterland. Vom Meer weit und breit nichts zu sehen und das Inselgefühl wollte sich nicht einstellen. Ich muss an dieser Stelle sagen, das ich der Meinung bin, dass eine Insel eine bestimmte Form, eine bestimmte Größe etc. haben muss, um als eine Insel wahrgenommen zu werden. Insofern ist Usedom für mich zwar faktisch durchaus eine Insel, aber emotional keine, das war bisher am stärksten auf Borkum und auf der Reichenau zu spüren, wiewohl diese beiden Insel sehr unterschiedlich in anderer Art und Weise sind. Dennoch: ich genoss die Fahrt und das Wetter wurde immer besser, ein richtiges Kaiserwetter eben. Und so erschloss sich mir auf wunderbare Weise die Herkunft dieses Ausspruchs. Wie würde das wohl sein mit einem anderen Begriff, der zu Usedom gehört, nämlich die Badewanne Berlins. Das galt es für mich heute herauszufinden.

Mein Plan war es, in Ahlbeck ein Fahrrad zu leihen, nach Swinemünde in Polen zu fahren, und wenn die Zeit noch reicht, nach Heringsdorf, um dann nach Ahlbeck wieder zurückzufahren, da ich ja im Bahnhof mein Gepäck im Schließfach verstaut hatte. Es kam aber ganz anders, aber der Reihe nach.

Ankunft in Ahlbeck. Sonniges Wetter. Info am Bahnhof für den Fahrradverleih. Nicht weit vom Bahnhof. Soweit, so gut. usedomrad.com. Verteilerstelle und Stützpunkt. Kein Ansprechpartner vor Ort. Nomineller Ansprechparter – eine Immobilienfirma – verweist mich auf die Hotline. Anruf. Buchungsversuch. Kreditkartennummer. Keine Lust. Barzahlung von mir bevorzugt. Problem. Interne Klärung bei der Hotline notwendig. Ich soll zurückgerufen werden. Zeitverlust inzwischen eine halbe Stunde. Zeitfenster Usedom bis 16:00 Uhr des Tages, da Weiterreise nach Rügen. Marsch zur Küste. Kaiserwetter. Keine Lust mehr auf Fahrrad. Rückruf erhalten mit Zugangscode für die Fahrradleihe. Ich keine Lust mehr. Strand. Kaiserwetter. Schuhe und Socken ausgezogen. Strandwanderung Richtung Heringsdorf. Einfach schön.

Nach erreichen des Seebades Heringsdorf schlenderte ich dann auf der Seebrücke entlang, setzte mich hin, säuberte meine Füße vom Sand und ließ sie in der wunderbaren Herbstsonne trocknen, und das ging gut, da das Thermometer inzwischen auf 25 Grad Celsius gestiegen war. Ich zog meine Schuhe an und spazierte nichtsahnend weiter die Seebrücke entlang in Richtung Meer und sah, dass in fünf Minuten die Fähre nach Swinemünde kommt. Wollte noch schnell ein Ticket lösen, aber, es war niemand am Schalter. Egal, ich probiers trotzdem am Schiff. Nun habe ich die Eigenschaft, möglichst mein Geld in Fünfeuroscheine bei mir zu tragen, das habe ich mir damals vor fast 30 Jahren angeeignet, als ich mal auf Tour nach Israel, also im Heiligen Land war. Da war es immer nützlich, kleine Scheine bei sich zu haben, für den Fall der Fälle. So war es nun auch auf der Seebrücke in Heringsdorf. Aber, jeder der auf der Brücke in der Warteschlange stand hatte ein Ticket, und ich war mir nicht sicher, ob das klappt. Als das Schiff kam, ging alles sehr schnell. Der Pole, der die Tickets prüfte, fragte mich nur, ob ich es klein hätte. Ich solle nur nach Backbord gehen, dass hies für mich auf die andere Seite des Schiffs. Letztlich war es eine wunderschöne sonnige Schiffsreise in den phänomenalen Naturhafen von Swinemünde. Dort angekommen lief ich lediglich der Hautachse entlang Richtung Grenze nach Ahlbeck, stieg in den Zug und fuhr zurück. Die letzte halbe Stunde fotografierte ich noch etwas Bäderarchitektur, und dann war es das. Ob mir Usedom gefallen hat? Naja, es ist die Badenwanne Berlins, es sind die unbedarfteren Touristen, die hier in hoher Zahl da waren, nicht ganz so mein Geschmack eben, etwa so wie der Trubel in Heidelberg, auf Schloss Neuschwanstein oder in Titisee im Schwarzwald. Mehr als ein paar Stunden halte ich es da nicht aus, auch wenn die Rahmenbedingungen, die Landschaft, das Klima usw. eigentlich gar nicht so schlecht sind. Aber was zuviel ist zuviel. Fairerweise muss ich auch sagen, dass ich das Seebad Bansin nicht gesehen habe, auch nicht Peenemünde, wo es ein sehr interessantes Museum gibt und vieles weitere. Aber der erste Eindruck zählt. Wenn es um die Frage geht, welche den drei Inseln, die ich besucht habe ich wieder besuchen darf und müsste, so wäre Usedom leider nicht mehr dabei. Erschwerend kommt dazu, das sich hier das Inselfeeling bei mir nie einstellen wollte. Gesehen und abgehakt, vorerst zumindestens.

Was ich mich schon in der Schule gefragt habe war, warum die heutige deutsch-polnische Grenze so verläuft? Wir haben in der Schule gelernt, dass von den Siegermächten auf der Potsdamer Konferenz vom 17. Juli bis zum 2. August 1945 im Potsdamer Schloss Cecilienhof der Flußverlauf der Oder und Neiße als künftige deutsche Ostgrenze festgelegt wurde. Was aber ist mit dem Ostteil von Usedom und Swinemünde, und was ist mit der Stadt Stettin, die ebenfalls westlich der Oder-Neiße liegt? Auf diese Fragen konnte mir noch keiner eine plausible Antwort geben. Es ist natürlich keine existentielle Frage für mich, aber warum sich das so ergeben hat wie es ist, interessiert mich einfach. Meine Vermutung ist, dass Swinemünde mit seinem beeindruckenden Naturhafen und Stettin einfach strategische und kommerzielle Vorteile bieten.

Die mitteleuropäische Geschichte nach dem 1. Weltkrieg bis zum Ende des zweiten Welltkriegs ist auch Inhalt meines heutigen Buchtipps. Der Erlkönig von Michel Tournier. Ein phantastischer Roman, der zu großen Teilen in Preußen, speziell in Ostpreußen spielt. Hervorragend übersetzt von Hellmut Waller und gegengelesen von Michel Tournier selbst, dessen Eltern Germanisten waren und der selbst in Tübingen direkt nach dem zweiten Weltkrieg ab 1946 für vier Jahre Philosophie studierte. Michel Tournier ist der Mythenzerstörer per se, und sein Roman Erlkönig ein großartiger Wurf.

DerErlkoenig

Ein weiteres geniales Buch ist der Roman Zwillingssterne, ach, eigentlich alles von ihm gut und sollte gelesen werden.

Zwillingssterne

Zum Abschluss mein Inselwitz des Tages:

Vom Winde verwirrt

 

 

Ist gar nicht so abwegig am FKK-Strand bei gleichzeitiger Informationssucht.

Das solls für heute gewesen sein. In den nächsten Tagen folgt noch ein Postlog und eine abschließende Bewertung aller von mir besuchten Inseln dieser Tour.

Etappe 3

Etappe 3

Borkum

Allein die Anreise nach Borkum ist erzählenswert. Wie gesagt, ich habe in Rømø übernachtet und von hier aus ginge auch los, früh am morgen um 6:45 Uhr musste ich meine Fähre erreichen. Das hat wunderbar geklappt, nämlich wieder bei Dunkelheit los, diesmal zum Hafen Havneby. Überfahrt nach List auf Sylt, dann den Bus nach Westerland, Gepäck aus dem Schließfach geholt und dann den IC nach Stuttgart genommen, der über Hamburg und Bremen – mein Umsteigebahnhof – fährt. Vor Bremen Baustelle, Verzögerung, so dass ich damit rechnen musste, in Emden die letzte Fähre des Tages nach Borkum zu verpassen. In meiner Not bin ich zum Schaffner hin, erklärte mein Problem und er sagte mir, dass ich den Anschluss nicht mehr bekäme, jedoch solle ich mich in Bremen am Schalter melden, die würden das Problem lösen.
Es gab drei Optionen:
1. Eine Übernachtung im Hotel in Bremen, was meinen ganzen Reiseplan durcheinander wirbeln würde
2. Mit dem Flugzeug von Emden nach Borkum
3. Taxi

Ich ging an den Informationsschalter und konnte nachweisen, dass das Zimmer in Borkum gebucht ist, was heißt, mir musste geholfen werden. Der Taxifahrer war dann innerhalb von 5 Minuten da, und dann ginge ab, 135 Kilometer nach Emden. War das cool. Wir waren sogar eine halbe Stunde früher da als es mit dem Zug gewesen wäre. Allerdings hatten wir bei der Einfahrt nach Emden großes Glück, das es nicht zu einem Unfall kam. Was war passiert? Ganz einfach, der Navi war schuld, der sagte nämlich nach der Autobahnausfahrt »Halten sie sich links und biegen sie dann links ab«, also wie ist das zu verstehen, der Taxifahrer ging auf die linke Spur – es war auch noch in einer Kurve – und dann stellten wir fest, dass uns Autos entgegenkommen. Ich sagte dem Taxifahrer er solle aufpassen und nach rechts ziehen. Wir waren beide der Ansicht, das der Navi Mißverständliches mitgeteilt hatte. Haben wir einen Dusel gehabt, das hätte dumm ausgehen können. Überraschenderweise bin ich da sehr ruhig geblieben und habe den 71-jährigen Taxifahrer versucht zu beruhigen und ihm zu verstehen gegeben, dass auch ich höchstwahrscheinlich diesen Fehler gemacht hätte, wenn ich mit dem Navi gefahren wäre. Ich verlasse mich aber in der Regel auf meinen hervorragenden Orientierungssinn, schau mir ein- oder zweimal eine gute Straßenkarte an und das reicht.

Der Taxifahrer war supernett, wir hatten uns auf der ganzen Fahrt prima unterhalten, und er erzählte mir, dass seine Rente eigentlich ausreiche, er aber so gerne reise, so 4-5 Mal im Jahr. Um das zu finanzieren fährt er halt noch Taxi, da er noch jung geblieben ist und auch sonst ganz fit war.

Am Fährhafen gings erst einmal an den Schalter um Tickets zu kaufen. Aus Zeitnot und der Verspätung hatte ich keine Zeit, Geld vom Bankautomaten abzuheben, meine Geldmenge in der Tasche war also begrenzt. Dummerweise gab es am Fährhafen keinen Automaten und der nächste war, ich habe nachgefragt, mindestens zwei Kilometer entfernt, also vier Kilometer hin und zurück, also etwa 40 Minuten, die Fähre fährt aber in 35 Minuten. Was machen? Ich hatte zufälligerweise genau den Betrag in der Tasche, die für die Überfahrt anfiel. Mein Restgeld betrug danach genau 9 Cent. Zwar konnte ich mir dadurch kein Bier auf der Fähre leisten, aber Wasser und Multivitaminsaft sowie zwei Äpfel führte ich mit. Und auf Borkum hatte ich bereits Wochen zuvor die Übernachtung zusammen mit einem Lunchpaket gebucht, was jetzt mehr als Gold wert war. Man muss dazu wissen, dass ich gegen Abend auf Borkum ankam und die JuHe am Fährhafen liegt, 6,5 Kilometer von der Stadtmitte und somit vom nächsten Geldautomaten. Leute es hat wunderbar geklappt, ich konnte mir Abends im Speisesaal Schnitzel mit Kartoffelpüree, Erbsen und Karotten in reichlichen Mengen zum Munde führen und dieser Ort wurde auch zu meiner nächsten Schreibstube, in der ich die vorangegangene Etappe zusammenstellen konnte. Ging dann gegen 24:00 Uhr ins Bett und bin dann um 6:00 Uhr wieder aufgestanden um Korrekturen zu lesen und die Bilder einzupflegen. Und um 10:00 Uhr ging der Zug – eine sehr charmante Kleinbahn – zur Inselstadt Borkum.

Die Überfahrt zur Insel dauert mit dem Katamaran etwa eine Stunde, die Fähre braucht zweieinhalb. Borkum ist bisher die inselhafteste Insel meiner Reise, ich meine damit, dass die Anreise schon teilweise übers offene Meer ging, nicht nur so im Wattenmeerbereich. Und das spürt man auf der Insel. Es ist auch die einzige Insel im Nord-Süd-West-Ost-Zusammenhang, die nicht über eine Brücke oder einem Damm zu erreichen ist. Da geht nur Schiff und Flugzeug im Normalfall.

Was ich bisher so an Informationen über Borkum bekommen habe war dergestalt, dass ich nicht allzugroße Erwartungen hegte. Die Borkumer Lokalpolitiker brüsteten sich 1936 damit, dass die Insel als erste der deutschen Insel judenfrei sei. Und dass im zweiten Weltkrieg viel durch Fliegerbomben zerstört wurde, da Borkum auch ein strategischer Stützpunkt der Wehrmacht war. Was ich dann jedoch zu sehen bekam hat mich positiv überrascht. Die Insel ist im Gegensatz zu Sylt – wenn man mal von Jetset absieht, der sich einmal im Jahr für eine Woche zeigt! – ziemlich international geprägt, sowohl von den Menschen, die auf der Insel leben oder arbeiten, als auch von Seiten der Inselbesucher. Überraschenderweise sehr viele französische Touristen und natürlich Holländer. Holland liegt gleich gegenüber, den Eemshaven liegt näher an Borkum als Emden, aber warum so viele Franzosen?

Interessant ist, dass es sehr viele Inselpendler gibt, die auf dem Festland leben und auf der Insel arbeiten. Die fahren dann jeden Tag hin und her, das macht je nachdem ob man den Katamaran benutzt oder die Fähre zwischen zwei und viereinhalb Stunden reine Schifffahrtszeit, plus An- und Abfahrten ab Wohnung oder Arbeitsplatz. Ich habe da zwei Menschen getroffen, die mir erzählten, dass sie in der Saison einen Marktstand für Gemüse und Obst auf Borkum hätten. Sie reisten beide mit denselben Zug mit mir zur Fähre, und daraus folgerte ich, dass sie wohl zu einem größeren Unternehmen gehören müssten, wegen der Logistik von Warenbeschaffung und Warentransport. Nein, sagten sie, sie seien selbständig und würden den Wareneinkauf auch selbst machen. Die Logistik ist allerdings so organisiert, dass sie in der Markhalle die Waren aussuchen und ordern und dann durchein Logistikunternehmen direkt auf den Inselmarkt geliefert werden würde, so dass die Notwendigkeit nicht gegeben sei, dass sie jeden Tag mit dem Lieferwagen zur Insel und zurück müssten. Ein sehr gutes System und ansich logisch und praktisch. Und nicht so anstrengend für die beiden, auch wenns jedesmal ein recht langer Tag sei. Aber man kann auf der Fähre im Unterdeck auf den Viererbänken wunderbar ablegen und schlafen. Und das Wichtigste sei wohl, dass einem die Arbeit Spaß mache. Ich habe denen auch etwas über meine Inseltour erzählt, und sie meinten darauf, dass ihrer Meinung nach Wangerooge eine tolle Insel sei, die ich unbedingt besuchen müsse. Es gibt ingesamt sieben bewohnte ostfriesische Inseln, von Westen her sind das Borkum, Juist, Norderney, Baltrum, Langeoog , Spiekeroog, Wangerooge. Vieleicht die nächste Idee für mich?

Am Bahnhof der Insel angekommen habe ich mein Gepäck beim Fahradverleih für kleines Geld abgeben können und konnte mich dann erleichtert auf die Inselwanderung begeben. Nun war ich völlig überrascht, dass ich mehr von der Bäderarchitektur zu sehen bekam als in Sylt, wesentlich mehr. Und das nach den verheerenden Fliegerbomben im zweiten Weltkrieg doch noch Einiges stehen blieb. Vielleicht, weil der Hafen und die militärischen Anlagen eher auf der anderen Seite der Insel waren? Dort ist übrigends auch die JuHe in der ich übernachtet hatte, die sich auf dem Gelände einer ehemaligen Kaserne befindet. Alles sehr zweckmäßig, aber ok. Und das Personal, kulturell gemischt wie man es von Großstädten her kennt, ist sehr sehr nett. Die hatten alle eine Freude an ihrer Arbeit und waren genauso zuvorkommend, wie man es ab der Viersterne-Klasse im Hotel erwarten darf.

Die Musik jedoch spielt in Borkum am Weststrand, wo sich auch die großen Hotels und die Strandpromenade befindet. Alles ist sehr großzügig angelegt. Die Einzigartigkeit an dieser Stelle ist die vorgelagerte Sandbank. Sie hat mich sehr beeindruckt. Ich weiß nicht warum, aber diese vorgelagerte Sandbank, der gut ausgebaute Dünenweg, das Watt, die Dünen, die Strandpromenade, die Architektur ergeben hier eine besondere harmonische Einheit, die man als typisch Borkum bezeichnen könnte, ein ganz spezielles Flair.

Von hier aus kann man prima spazieren gehn, wahlweise im Watt oder auf den Dünen. Ich fand da auch des Rätsels Lösung, warum so viele Franzosen hier sind. Borkum war mal französisch und zwar zwischen 1810 und 1813. Warum trotz dieser kurzen Besitzzeit zum Kaiserreich Frankreich noch heute so viele Franzosen nach Borkum pilgern ist mir schleierhaft. Die haben doch selber so schöne Inseln, die man auch vielleichter erreichen kann.

Gegen 16:30 Uhr gings für mich wieder zurück zur Reede auf Borkum, um zur letzten Pflichtinsel zu reisen, nach Usedom.

Der Buchtipp ist heute klassischer Art:
Der Schimmelreiter von Theodor Storm. Die Handlung spielt an der Nordseeküste und erzählt auf eindrückliche Weise den Kampf der Menschen gegen die Übermacht des Meeres. Großartig!

der_schimmelreiter_klein

 

 

Und wie immer zum Schluss unser heutige Inselwitz:

steffen

Mehr unter http://inselwitz.wordpress.com/2011/01/19/hello-world/

 

Etappe 2

Sylt und Rømø

Nach alldem was ich von Sylt gehört habe war es nun wirklich mal Zeit, sich selbst ein Bild davon zu machen. Ich bin ja zum ersten mal hier. Die Insel ist ziemlich medienpräsent und das liegt sicherlich auch an einer klugen Marketingstrategie. Sylt hat einiges zu bieten, wovon ich mich inzwischen selbst überzeugen konnte.

Ich mach mir auch so meine Gedanken, wann ich von dieser Insel zum ersten mal gehört habe, oder vielmehr gesehen. Da war eine Postkarte dieser Insel, – ich war wohl so um die 10 Jahre alt – soviel ich mich erinnern kann, eine Luftaufnahme von der Landseite her mit dem Hindenburgdamm. Es müssen aber noch weitere Bilder drauf gewesen sein, weil der Text »Viele Grüße aus Westerland ebenfalls aufgedruckt war. Aber an diese anderen Fotos kann ich mich nicht mehr erinnern, spielt auch jetzt keine Rolle. Jedenfalls hatte mein Bruder Lothar sie in unserem damaligen gemeinsamen Zimmer mit einem Reissnagel an die Wand geheftet. Ich glaube, dass er dort im Schullandheim war, habe ihn später aber nie danach gefragt. Der wird sich schon melden, wenns nicht stimmt oder es sich anders zugetragen haben soll.

Da fällt mir dazu ein Zitat ein, welches eigentlich ein Zitat eines Zitates ist und den Michael Köhlmeier in seinem Buch »Die Abenteuer des Joel Spazierer« seinem Protagonisten, der offen zugibt, dass er dieses Zitat selbst irgendjemanden abgekupfert habe, sagen lässt, nämlich: »Alles was Erinnerung ist, gerät unter das Regime der narrativen Transformation.« Tief Luft holen. Am besten den ganzen Satz nochmals durchlesen und nochmals tief durchatmen, den was in diesem Zitat alles steckt ist doch völlig abgefahren, und so wahr.

Zurückt zur Postkarte, es gibt in diesem Zusammenhang noch eine weitere Postkarte an die ich gut erinnern kann, nämlich die erste Panoramakarte die wir bei uns Zuhause erhalten haben – sie kam aus New York, von meinem Onkel Hugo – und ich war sofort fasziniert von all den Wolkenkratzern die da drauf waren, und natürlich auch, dass ich so einen berühmten Onkel dort hatte, jedenfalls war er das wie ich das in meinem kindlichen Empfinden mir vorstellte. Er war zu dieser Zeit dort Mannequin und wohl richtig gut im Geschäft, kein Wunder als einer der zwei ersten männlichen Fotomodellen bei der in Branchenkreisen sehr bekannten Modellagentur »Wilhelmina«, die bis zu diesem Zeitpunkt nur weibliche Modelle betreut hatte. Das zweite männliche Modell war übrigens John Travolta, ja der war um 1970 herum ja auch noch nicht so bekannt und der Durchbruch mit »Saturday Nicht Fever« war auch erst in der zweiten Hälfte der siebziger Jahre. Ich behaupte mal, dass dies so um 1977 war. Und jetzt festhalten – das Inselthema verfolgt mich geradezu – Manhattan mit all seinen Wolkenkratzer ist ja auch eine Insel. Und jetzt einen Zeitsprung in die 90-er Jahre. Poonam und ich haben in Stuttgart geheiratet und die indische Zeremonie fand in einem indischen Restaurant statt, in Untertürkheim, auf der Neckarinsel! Au Backe, das wird einem ja vor lauter Inseln ganz anders zumute. Ich könnte nun behaupten, dass dies mich verfolge. Ist aber nicht so. Dass ich jedoch soviel mit Eilanden zu tun habe ist dennoch auffällig.

Schon meine heutige Anreise nach Sylt war ein Erlebnis, Abreise war am Sonntag, 07.09.2014 um 22:19 Uhr in Stuttgart, Umstieg in den Nachtzug nach Hamburg, wo sich herausgestellt hatte, dass auf dem Ticket ein falsches Datum stand. Die Zugbegleiterin hat sich aber sofort gekümmert und mir ein freies Abteil zugewiesen, in dem ich gut geschlafen habe und kurz in Eile geriet, als der Zug gehalten hatte. Durchsagen ohne Hörgeräte – mit denen schlafe ich nicht – verstehe ich nicht. Und meine Brille hatte ich noch nicht auf, meinte aber entziffern zu können, dass am Bahnsteig das Schild mit Hamburg zu lesen sei, schnell aus dem Bett, anziehen und Brille auf und es wurde beim weiteren hinsehen daraus auf wundersame Weise Hannover. Als Typograf kenne ich das Phänomen, dass in Saccaden und nicht in einzelnen Buchstaben gelesen wird. Ich sagte mir also in diesem automatisch ablaufenden Gedankenprozess: Anfangsbuchstabe und Zeichenanzahl ergibt Hamburg, Hannover ist eigentlich auch nicht soweit davon entfernt, vom Schriftbild meine ich, meine Schlussfolgerung war durchaus begründet, aber fehlinterpretiert. Also Alarm zurück und ich konnte mich nochmals für eine Stunde hinlegen.

Zugwechsel in Hamburg und dann war die Fahrt durch Schleswig-Holstein geprägt von stürmischer und regnerischer Witterung. Ich befürchtete Schlimmes und das es mit der Wanderung über die Insel wohl nichts werden würde. Gottseidank hatte sich das Wetter auf Sylt bis zu meiner Ankunft merklich gebessert, es wurde vielmehr ein richtig sonniger und warmer Tag. Ankunft in Westerland auf Sylt war gegen 12:30 Uhr, dort habe mich am Bahnhof gleich dem Hauptgepäck entledigt und alles im Schließfach verstaut, so dass ich nur mit einem Rucksack bepackt zum nächsten Imbiss – noch im Bahnhof – gegangen bin und mir eine Bratwurst genehmigte. Die dazugehörige Kohlenhydrate kamen in Form einer halben Toastscheibe beigelegt, also etwas dürftig oder etwas zu wurstig, wie mans halt sehen möchte. Gestärkt konnte ich schnurstracks dem Strand entgegen eilen und habe meine Füße in Meerwasser gekühlt, und bin dann den Strand etwas langspaziert.

Foto 16

Insgesamt wurden daraus fast 12 Kilometer, am roten Kliff entlang, auf die Uwe-Düne, mit 51 Meter höchster Punkt auf Sylt, dann nach Kampen und weiter Richtung List. Den Rest habe ich mit dem Bus bewältigt. Und ich hatte doch dann tatsächlich noch 45 Minuten Zeit, bis meine Fähre nach Rømø abfuhr. Klar, Durst, Bier oder so was in dieser Richtung. Ziel war letztlich das Piratennest, wo ich mich in einem wunderschönen roten Strandkorb setzte, farblich gleich einer amerikanischen Brausefirma, und mir ein Sylter Gedeck bestellte – Pils mit der Dreingabe eines Brombeerschnapses, der richtig richtig gut war.

List war übrigens bis 1864 dänisch und dürfte eines der letzten Gebietsgewinne sein, die nicht nach den folgenden bewaffneten Auseinandersetzungen wieder durch die Kriegsgewinner einkassiert wurden. Interessant ist auch, das sich der Norden von Sylt in privater Hand befindet, also die kommunale oder regionale Regierungen kaum über Land in dieser Gegend verfügt. Das spürt man noch heute, wenn man die Insel so durchquert wie ich, nämlich zu Fuß.

Mein kurzes Fazit zur Insel Sylt:
• Westerland ist Massentourismus
• Wennigstedt gutbürgerlich und gut gesettelt
• Kampen ist unverschämt mondän mit Quadratmeterpreisen von 30.000 Euro, hier stinkt es richtig nach Geld
• List hat einerseits einen Charme, den ich den Dänen zuschreibe, gleichzeitig wirk es aber auch ein wenig spießig und kleinbürgerlich
• am besten hats mir in Westerheide gefallen. Die Häuser liegen so schön eingebettet zwischen den Dünen und hat genau die Balance zwischen gutem Geschmack und Understatement.

Morsum, Keitum, Archsum, Rantum und Hörnum lag nicht auf meiner Route und ich kann deshalb dazu nichts sagen.

Eigentlich wollte ich noch was über die großen Sturmfluten schreiben, die die nordfriesischen Inseln heimsuchten. Mit interaktiven Karten zum Küstenverlauf, so hatte ich es mir vorgestellt. Da hat es ja seit dem Jahr 900 riesige Landverluste gegeben, ganze Inseln, auch richtig große sind dabei untergegangen, bzw. weggeschwemmt worden. Das mit diesen interaktiven Karten hat sich aber auf der Reise als zu schwierig zu bewerkstelligen herausgestellt. Ist aber eine super Idee für die Projektarbeit meiner Abiturklasse, da hab ich jetzt schon wieder ein Thema, dass auch viel geschichtliches beinhaltet und gleichzeitig anspruchsvoll ist. Die Ideen für meine Projekte kommen mir immer in solchen Situationen. Ich mag ja so was gern. Gebongt.

Schiffsreisen sind immer schön, aber man kann sie schlecht beschreiben und auch schlecht fotografieren, sondern nur selbst erleben – die Dimensionen sind einfach zu groß, zu gewaltig, das passt nicht in ein paar Zeilen oder auf ein Foto. Film und Ton eignen sich dafür besser. Die Idee mit Rømø kam eigentlich aus der Not, da auf Sylt keine JuHe mehr Platz hatte und ansonsten auf dieser Insel schon das Schnaufen Geld kostet, ähnlich wie in Paris oder in der Schweiz. Und da erinnerte ich mich an den Architekten und Fotodesigner, mit dem ich 10 Jahre zusammen die Fotos für die Kataloge von WK-Wohnen fotografierte. Toller Job damals, gut bezahlt und in der Qualität ähnlich aufwendig wie heute bei Ligne Rosé. Lutz der Fotograf und Architekt stammte aus dem Norden und sagte mir mal bei unseren Gesprächen beim Fotoshooting, das Sylt längst nicht so cool sei wie Rømø. Ja, so bin ich jetzt das erste Mal in meinem Leben nach Dänemark gekommen, aus dieser Erinnerung heraus, kurz vor Einbruch der Dunkelheit, dazu noch im Ausland, kein Netz und ich Dussel hatte keine Karte, jedoch eine Adresse und eine vage Vorstellung – ich habe mir das nämlich schon vor Wochen auf Googlemaps angeschaut. Die Erinnerung sagte mir jedenfalls, etwa ein Kilometer vom Hafen und rechts halten. Ich ging diese Straße entlang, die zu Beginn noch sehr gut mit Gehwegen und Fahradwegen ausgestattet war, dann wegfiel, dann die Straße allmählich von Asphalt in Schotter über ging. Es wurde schon dunkel, und ich konnte diese kleinen aber charmanten Chalets der Dänen ahnen, alles in einer waldartigen Umgebung. Kurz vor Stockdunkelheit hab ich tatsächlich dieses Danhostel gefunden, mitten in der Pampa, aber genau so, wie ich es mir vorgestellt habe, einen Winkelhof aus dem 18. Jahrhundert, rot gestrichen und reetgedeckt. Wow.

2013_romo_01

2013_romo_02

Weniger Wow war dann beim einchecken zu erfahren, dass es nichts zu essen und trinken weit und breit gab und ich dafür an den Hafen müsse. Da komm ich doch grad her! Nach strammen Fußmarsch. Und überhaupt sind diese Hafengegenden kulinarisch recht seltsam (ich meine die kommerziellen Häfen und nicht die für Touris, Segelyachten und mit Besitzern von Luxusläden wie in Deauville oder Trouville etc.) . Das einzige gute Restaurant am Hafen das ich kenne – und ich kenne nicht sehr viele Häfen – war in Barcelona ein kleines Fischrestaurant. Sensationell gut schmeckt es aber in Brest am Marinehafen im Marineheim. Der Daniel Wenk wird das bestätigen können, gell.

Nahrungsmittelcheck. Ich hatte noch etwas Studentenfutter und Wasser, das muss reichen, bin doch schon 15 Kilometer heute gelaufen, mindestens. Dafür war das Zimmer schön, es hatte etwas von der Atmosphäre wie bei Carl Spitzwegs »Armer Poet«, halt so ein kleines Ding. Nach einem kleinen Nickerchen nach so einem langen Tag bin ich nochmals raus zum spazieren und sehe, dass in der Gemeinschaftsküche für Gäste noch Betrieb war. Drei – ich sag gleich ohne Umschweife – Schnepfen. Warum? Weil ich nett nachgefragt hatte, das die so schön beim kochen seien, und ob ich eventuell einen heißen Tee mittrinken könne. Der Tag war nämlich anstrengend und ich hätte mir gerne was Warmes gegönnt, wenn ich schon auf das Abendessen verzichten wollte. Was kam war ein Gemurmel, etwas Verhuschtes. Vorab habe ich schon am Parkplatz recherchiert und ein einziges Gästeauto erblickt, mit Kennzeichen aus Wunsiedel, deshalb habe ich die Damen im süddeutschen Tonfall angesprochen. Man muss dazu sagen, dass ich zu diesem Zeitpunkt bereits frisch geduscht und rasiert war, also keine so üble Erscheinung gewesen sein konnte. Aber es war halt Nacht und wir mitten im Wald, udn alleine. Kann ja verstehen, wenn da vorsichtig reagiert wurde. Ich war aber auch Gast hier, also auch berechtigt, die Küche zu nutzen und habe – jetzt kommt der Hammer – kurz zuvor als Geschenk in Deutschlands nördlichstem Supermarkt auch eine Sylter Teemischung gekauft. Die habe ich mir dann geholt und mir eine ordentliche Menge davon zubereitet, auf der Kochplatte, die noch übrig war (drei waren belegt für die Zubereitung von Nürnberger Rostbratwürste mit Sauerkraut und Kartoffel). Man muss dazu sagen, dass ich ein klassischer Kaffeetrinker bin und Tee wirklich nur anrühre, wenn ich richtig krank bin. Das was ich da aber fabriziert hatte, war der beste Tee, den ich je getrunken habe. Poonam sorry, der Tee war für dich gedacht, aber es ist noch jede Menge da für den wahrscheinlich künftig gemeinsame Genuss. Die Damen, mich immer noch ignorierend, könnte ich nach wie vor an die Wand schmeißen, richtige Zicken war das, und dabei sahen zwei davon indiskutabel aus und die dritte war auch kein Ausbund an Schönheit. Diese Unfreundlichkeit habe ich schon so oft erleben müssen, insbesondere bei Menschen aus diesem Landstrich, Franken halt; schwierig! Das das auch anders geht habe ich jedoch häufiger erleben dürfen, in Frankreich beispielsweise, in Indien sowieso, aber auch in den osteuropäischen Ländern. Ich meine vor allem die privaten Freundlichkeiten, nicht nur die geschäftlichen.

Wo wir doch schon in Dänemark sind, komme ich zu meinem heutigen Buchtipp, passend zur Situation und zum Land, in dem ich heute übernachtet habe. Dänemark hat nämlich dem Ferdinand Celine nach dem zweiten Weltkrieg Asyl gewährt und nicht ausgeliefert, weil der in Frankreich in Abwesenheit zum Tode verurteilt wurde, wegen angeblicher Kollaboration mit den Deutschen. Da waren die Franzosen in den ersten Nachkriegsjahren ziemlich eifrig um von den wirklichen Sauereien, die sonst noch in Frankreich während der Besatzungszeit durch die Deutschen passierten, abzulenken. Wenn man die Franzosen fragt, so war fast, aber wirklich fast alle in der Résistance. (Umgekehrt gab es in Deutschland aber auch verdächtig wenige, die das Regime unterstützt haben wollten – es schenkt sich keinem was). Was aber Frankreich angeht, hier ein Beispiel, das ich selber ab Mitte der siebziger Jahre von einem Zeitzeugen erzählt bekommen habe, weil ich zu dieser Zeit öfters hier auch auf dem Land die Ferien verbrachte und nicht nur in Paris. Im Hause meines Onkels südwestlich dieser Megacity wurde nach dem Krieg die zwei jungen Damen, die zuvor mit ihrem Vater im Haus wohnten im Garten von der Dorfbevölkerung kahl geschoren, nur weil sie von einem deutschen Offizier, der als Besatzer im Dorf seine Stellung hatte, öfters Bücher ausgeliehen hatten, Goethe und Schiller, vielleicht auch Lessing. Dieser Offizier war nämlich recht frankophil und Soldat der deutschen Wehrmacht, was nicht gleichbedeutend ist mit der Art des Denkens der braunen Truppe und den vielen Mitläufern, die Deutschland damals ins Verderben bugsierten. Jedenfalls gibt es die interessante Geschichte, das dieser Offizier eines Tages bei einem Routinerundgang in der Dorfkneipe Mitglieder der Résistance erwischem wie sie im hinteren Teil des Gebäudes Flugblätter druckten. Der Offizier sagte was in der Art, dass Sie doch wissen müssten, das dies mit dem Tod bestraft werden könnte, wenn er es melden würde, was er auch unter normalen Umständen müsste. Das Ergebnis war, dass dieser deutsche Offizier dann sogar teilweise mitgeholfen hat, die Flugblätter zu kurieren, er hatte ja ein Fahrzeug. Dies habe ich noch selbst aus dem Mund von Serge gehört, der dabei war, und er war zudem der einzige Kommunist im Ort. Einige im Dorf wussten über diese Allianz Bescheid, aber nach dem Krieg war alles vergessen, wollten alles vergessen sein, den wie überall im Leben gibt es Menschen die aus solchen Situationen auch ihre Vorteile zogen, und die Deutschen waren erst einmal für längere Zeit unten durch. Und auch hier passt das Zitat aus „Die Abenteuer des Joel Spazierer« wieder so gut, das es einem den Atem verschlagen muss: »Alles was Erinnerung ist, gerät unter das Regime der narrativen Transformation.« Zu finden auf Seite 66 im letzten Absatz.

Die Geschichte hat auch ein Ende und einen persönlichen Bezug zu mir, weil ich in diesem Haus doch so oft meine Ferien verbracht habe. Die Mädchen haben nach dieser Kahlrasur das Dorf verlassen und sind nie wieder zurückgekehrt, der Vater lebte noch etwa ein Dutzend Jahre im Haus, ohne weiteren Kontakt zur Bevölkerung, und als mein Onkel das Haus Ende der 60er Jahre kaufte, war das ganze Inventar noch genau am selben Platz, und es blieb dort auch weitestgehend, all dieses Küchengeschirr und vor allem die Familienbilder, die an der Wand hingen. Ich mag dieses Haus sehr. Aberglauben und schlechtes Gewissen der Dorfbevölkerung hat dazu geführt, dass man sich diesem Haus nicht mehr genähert hatte. Um jetzt endlich wieder zurückzukommen zum Buch: Louis Ferdinand Celine hat in Dänemark das Buch »Norden« geschrieben. Besser und wichtiger aber für die Literatur sind zwei andere Bücher, zum einen »Tod auf Kredit«, sein Meisterwerk.

Tod auf Kredit

Das zweite Buch heißt »Von einem Schloss zum andern«. Leider kann ich das nicht so gut in französische lesen, da er viel in Argot geschrieben hat, was das Verständnis und die Übersetzung schwierig macht. Die deutsche Übersetzung ist jedoch immerhin so, dass von der Intention des Autors noch genügend rüberkommt.

Von einem Schloss zum andern

 

Zu guter letzt noch der überfällige Inselwitz.

Diesmal von Günther Hauschild. Ich nenne es mal
»Kampen nach der großen Mandränke 2015«

Guenther_Hauschildt_Inselwitz