Etappe 3
Borkum
Allein die Anreise nach Borkum ist erzählenswert. Wie gesagt, ich habe in Rømø übernachtet und von hier aus ginge auch los, früh am morgen um 6:45 Uhr musste ich meine Fähre erreichen. Das hat wunderbar geklappt, nämlich wieder bei Dunkelheit los, diesmal zum Hafen Havneby. Überfahrt nach List auf Sylt, dann den Bus nach Westerland, Gepäck aus dem Schließfach geholt und dann den IC nach Stuttgart genommen, der über Hamburg und Bremen – mein Umsteigebahnhof – fährt. Vor Bremen Baustelle, Verzögerung, so dass ich damit rechnen musste, in Emden die letzte Fähre des Tages nach Borkum zu verpassen. In meiner Not bin ich zum Schaffner hin, erklärte mein Problem und er sagte mir, dass ich den Anschluss nicht mehr bekäme, jedoch solle ich mich in Bremen am Schalter melden, die würden das Problem lösen.
Es gab drei Optionen:
1. Eine Übernachtung im Hotel in Bremen, was meinen ganzen Reiseplan durcheinander wirbeln würde
2. Mit dem Flugzeug von Emden nach Borkum
3. Taxi
Ich ging an den Informationsschalter und konnte nachweisen, dass das Zimmer in Borkum gebucht ist, was heißt, mir musste geholfen werden. Der Taxifahrer war dann innerhalb von 5 Minuten da, und dann ginge ab, 135 Kilometer nach Emden. War das cool. Wir waren sogar eine halbe Stunde früher da als es mit dem Zug gewesen wäre. Allerdings hatten wir bei der Einfahrt nach Emden großes Glück, das es nicht zu einem Unfall kam. Was war passiert? Ganz einfach, der Navi war schuld, der sagte nämlich nach der Autobahnausfahrt »Halten sie sich links und biegen sie dann links ab«, also wie ist das zu verstehen, der Taxifahrer ging auf die linke Spur – es war auch noch in einer Kurve – und dann stellten wir fest, dass uns Autos entgegenkommen. Ich sagte dem Taxifahrer er solle aufpassen und nach rechts ziehen. Wir waren beide der Ansicht, das der Navi Mißverständliches mitgeteilt hatte. Haben wir einen Dusel gehabt, das hätte dumm ausgehen können. Überraschenderweise bin ich da sehr ruhig geblieben und habe den 71-jährigen Taxifahrer versucht zu beruhigen und ihm zu verstehen gegeben, dass auch ich höchstwahrscheinlich diesen Fehler gemacht hätte, wenn ich mit dem Navi gefahren wäre. Ich verlasse mich aber in der Regel auf meinen hervorragenden Orientierungssinn, schau mir ein- oder zweimal eine gute Straßenkarte an und das reicht.
Der Taxifahrer war supernett, wir hatten uns auf der ganzen Fahrt prima unterhalten, und er erzählte mir, dass seine Rente eigentlich ausreiche, er aber so gerne reise, so 4-5 Mal im Jahr. Um das zu finanzieren fährt er halt noch Taxi, da er noch jung geblieben ist und auch sonst ganz fit war.
Am Fährhafen gings erst einmal an den Schalter um Tickets zu kaufen. Aus Zeitnot und der Verspätung hatte ich keine Zeit, Geld vom Bankautomaten abzuheben, meine Geldmenge in der Tasche war also begrenzt. Dummerweise gab es am Fährhafen keinen Automaten und der nächste war, ich habe nachgefragt, mindestens zwei Kilometer entfernt, also vier Kilometer hin und zurück, also etwa 40 Minuten, die Fähre fährt aber in 35 Minuten. Was machen? Ich hatte zufälligerweise genau den Betrag in der Tasche, die für die Überfahrt anfiel. Mein Restgeld betrug danach genau 9 Cent. Zwar konnte ich mir dadurch kein Bier auf der Fähre leisten, aber Wasser und Multivitaminsaft sowie zwei Äpfel führte ich mit. Und auf Borkum hatte ich bereits Wochen zuvor die Übernachtung zusammen mit einem Lunchpaket gebucht, was jetzt mehr als Gold wert war. Man muss dazu wissen, dass ich gegen Abend auf Borkum ankam und die JuHe am Fährhafen liegt, 6,5 Kilometer von der Stadtmitte und somit vom nächsten Geldautomaten. Leute es hat wunderbar geklappt, ich konnte mir Abends im Speisesaal Schnitzel mit Kartoffelpüree, Erbsen und Karotten in reichlichen Mengen zum Munde führen und dieser Ort wurde auch zu meiner nächsten Schreibstube, in der ich die vorangegangene Etappe zusammenstellen konnte. Ging dann gegen 24:00 Uhr ins Bett und bin dann um 6:00 Uhr wieder aufgestanden um Korrekturen zu lesen und die Bilder einzupflegen. Und um 10:00 Uhr ging der Zug – eine sehr charmante Kleinbahn – zur Inselstadt Borkum.
Die Überfahrt zur Insel dauert mit dem Katamaran etwa eine Stunde, die Fähre braucht zweieinhalb. Borkum ist bisher die inselhafteste Insel meiner Reise, ich meine damit, dass die Anreise schon teilweise übers offene Meer ging, nicht nur so im Wattenmeerbereich. Und das spürt man auf der Insel. Es ist auch die einzige Insel im Nord-Süd-West-Ost-Zusammenhang, die nicht über eine Brücke oder einem Damm zu erreichen ist. Da geht nur Schiff und Flugzeug im Normalfall.
Was ich bisher so an Informationen über Borkum bekommen habe war dergestalt, dass ich nicht allzugroße Erwartungen hegte. Die Borkumer Lokalpolitiker brüsteten sich 1936 damit, dass die Insel als erste der deutschen Insel judenfrei sei. Und dass im zweiten Weltkrieg viel durch Fliegerbomben zerstört wurde, da Borkum auch ein strategischer Stützpunkt der Wehrmacht war. Was ich dann jedoch zu sehen bekam hat mich positiv überrascht. Die Insel ist im Gegensatz zu Sylt – wenn man mal von Jetset absieht, der sich einmal im Jahr für eine Woche zeigt! – ziemlich international geprägt, sowohl von den Menschen, die auf der Insel leben oder arbeiten, als auch von Seiten der Inselbesucher. Überraschenderweise sehr viele französische Touristen und natürlich Holländer. Holland liegt gleich gegenüber, den Eemshaven liegt näher an Borkum als Emden, aber warum so viele Franzosen?
Interessant ist, dass es sehr viele Inselpendler gibt, die auf dem Festland leben und auf der Insel arbeiten. Die fahren dann jeden Tag hin und her, das macht je nachdem ob man den Katamaran benutzt oder die Fähre zwischen zwei und viereinhalb Stunden reine Schifffahrtszeit, plus An- und Abfahrten ab Wohnung oder Arbeitsplatz. Ich habe da zwei Menschen getroffen, die mir erzählten, dass sie in der Saison einen Marktstand für Gemüse und Obst auf Borkum hätten. Sie reisten beide mit denselben Zug mit mir zur Fähre, und daraus folgerte ich, dass sie wohl zu einem größeren Unternehmen gehören müssten, wegen der Logistik von Warenbeschaffung und Warentransport. Nein, sagten sie, sie seien selbständig und würden den Wareneinkauf auch selbst machen. Die Logistik ist allerdings so organisiert, dass sie in der Markhalle die Waren aussuchen und ordern und dann durchein Logistikunternehmen direkt auf den Inselmarkt geliefert werden würde, so dass die Notwendigkeit nicht gegeben sei, dass sie jeden Tag mit dem Lieferwagen zur Insel und zurück müssten. Ein sehr gutes System und ansich logisch und praktisch. Und nicht so anstrengend für die beiden, auch wenns jedesmal ein recht langer Tag sei. Aber man kann auf der Fähre im Unterdeck auf den Viererbänken wunderbar ablegen und schlafen. Und das Wichtigste sei wohl, dass einem die Arbeit Spaß mache. Ich habe denen auch etwas über meine Inseltour erzählt, und sie meinten darauf, dass ihrer Meinung nach Wangerooge eine tolle Insel sei, die ich unbedingt besuchen müsse. Es gibt ingesamt sieben bewohnte ostfriesische Inseln, von Westen her sind das Borkum, Juist, Norderney, Baltrum, Langeoog , Spiekeroog, Wangerooge. Vieleicht die nächste Idee für mich?
Am Bahnhof der Insel angekommen habe ich mein Gepäck beim Fahradverleih für kleines Geld abgeben können und konnte mich dann erleichtert auf die Inselwanderung begeben. Nun war ich völlig überrascht, dass ich mehr von der Bäderarchitektur zu sehen bekam als in Sylt, wesentlich mehr. Und das nach den verheerenden Fliegerbomben im zweiten Weltkrieg doch noch Einiges stehen blieb. Vielleicht, weil der Hafen und die militärischen Anlagen eher auf der anderen Seite der Insel waren? Dort ist übrigends auch die JuHe in der ich übernachtet hatte, die sich auf dem Gelände einer ehemaligen Kaserne befindet. Alles sehr zweckmäßig, aber ok. Und das Personal, kulturell gemischt wie man es von Großstädten her kennt, ist sehr sehr nett. Die hatten alle eine Freude an ihrer Arbeit und waren genauso zuvorkommend, wie man es ab der Viersterne-Klasse im Hotel erwarten darf.
Die Musik jedoch spielt in Borkum am Weststrand, wo sich auch die großen Hotels und die Strandpromenade befindet. Alles ist sehr großzügig angelegt. Die Einzigartigkeit an dieser Stelle ist die vorgelagerte Sandbank. Sie hat mich sehr beeindruckt. Ich weiß nicht warum, aber diese vorgelagerte Sandbank, der gut ausgebaute Dünenweg, das Watt, die Dünen, die Strandpromenade, die Architektur ergeben hier eine besondere harmonische Einheit, die man als typisch Borkum bezeichnen könnte, ein ganz spezielles Flair.
Von hier aus kann man prima spazieren gehn, wahlweise im Watt oder auf den Dünen. Ich fand da auch des Rätsels Lösung, warum so viele Franzosen hier sind. Borkum war mal französisch und zwar zwischen 1810 und 1813. Warum trotz dieser kurzen Besitzzeit zum Kaiserreich Frankreich noch heute so viele Franzosen nach Borkum pilgern ist mir schleierhaft. Die haben doch selber so schöne Inseln, die man auch vielleichter erreichen kann.
Gegen 16:30 Uhr gings für mich wieder zurück zur Reede auf Borkum, um zur letzten Pflichtinsel zu reisen, nach Usedom.
Der Buchtipp ist heute klassischer Art:
Der Schimmelreiter von Theodor Storm. Die Handlung spielt an der Nordseeküste und erzählt auf eindrückliche Weise den Kampf der Menschen gegen die Übermacht des Meeres. Großartig!
Und wie immer zum Schluss unser heutige Inselwitz:
Mehr unter http://inselwitz.wordpress.com/2011/01/19/hello-world/